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BGH: X ZR 63/15 – Digitales Buch

Der X. Senat des Bundesgerichtshofs hat sich in seinem Beschluss X ZR 63/15 Digitales Buch vom 7. November 2017 mit der Beschränkung des Schutzbereichs eines Patents beschäftigt, das in allen Ausführungsbeispielen ein bestimmtes Merkmal aufweist, aber dieses nicht beansprucht. Er hielt hierzu fest:

Der Umstand, dass alle in einer Anmeldung geschilderten Ausführungsbeispiele ein bestimmtes Merkmal aufweisen, steht der Beanspruchung von Schutz für Ausführungsformen ohne dieses Merkmal entgegen, wenn dem Inhalt der Anmeldung zu entnehmen ist, dass die im Anspruch vorgesehenen Mittel der Lösung eines Problems dienen, das das Vorhandensein des betreffenden Merkmals voraussetzt (Ergänzung zu BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 - X ZR 107/12 , BGHZ 200, 63 = GRUR 2014, 542 Rn. 31 - Kommunikationskanal).
Die Historie:

Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 659 501 (Streitpatents), das eine Anzeigevorrichtung mit einer Schnittstelle im Drehgelenk betrifft. Das Streitpatent ist im Wege der Teilung aus einer Stammanmeldung vom 21. September 1998 (WO 99/15982 A1, NK2) hervorgegangen und beansprucht die Priorität einer deutschen Anmeldung vom 19. September 1997 (DE 197 41 453 A1).

Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der Stammanmeldung hinaus und sei nicht patentfähig. Ferner sei die Erfindung nicht so offenbart, dass der Fachmann sie ausführen könne. Die Beklagte hat das Schutzrecht mit einem Hauptantrag und zwei Hilfsanträgen in geänderten Fassungen verteidigt.

Das Patentgericht hat das Streitpatent unter Abweisung der Klage im Übrigen insoweit für nichtig erklärt, als sein Gegenstand über die mit Hilfsantrag II verteidigte Fassung der Patentansprüche hinausgeht.

Aus den Gründen:

Nachfolgend werden die Aspekte der Entscheidung den Schutzbereich und dessen Beschränkung durch die Ausführungsbeispiele aus der Beschreibung skizziert. Die weiteren Umstände und Entscheidungsgründe treten dabei in den Hintergrund.

Der X. Senat des BGH stellte fest, dass zulässige Berufung unbegründet ist.

Zunächst stellte der X. Senat des BGH fest, dass für die Beurteilung der identischen Offenbarung die Prinzipien der Neuheitsprüfung gelten würden. Danach sei erforderlich, dass der Fachmann die im Anspruch bezeichnete technische Lehre den Ursprungsunterlagen unmittelbar und eindeutig als mögliche Ausführungsform der Erfindung entnehmen könne. Bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts seien auch Verallgemeinerungen ursprungsoffenbarter Ausführungsbeispiele zulässig. Dies gelte insbesondere dann, wenn von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen, aber auch für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich seien, nur eines oder nur einzelne in den Anspruch aufgenommen worden seien ( BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 – X ZR 107/12 , BGHZ 200, 63 = GRUR 2014, 542 Rn. 21 ff. – Kommunikationskanal; Beschluss vom 8. November 2016 – X ZB 1/16 , GRUR 2017, 54Rn. 44 – Ventileinrichtung).

Der Umstand, dass alle in einer Anmeldung geschilderten Ausführungsbeispiele ein bestimmtes Merkmal aufweisen, stünde der Beanspruchung von Schutz für Ausführungsformen ohne dieses Merkmal allerdings nicht entgegen, wenn sich dem Inhalt der Anmeldung kein konkreter Bezug zwischen dem betreffenden Merkmal und den im Anspruch vorgesehenen Mitteln zur Lösung eines geschilderten technischen Problems entnehmen ließe (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 – X ZR 107/12 , BGHZ 200, 63 = GRUR 2014, 542 Rn. 31 – Kommunikationskanal). Im vorliegenden Streitfall sei der Stammanmeldung indes zu entnehmen, dass die im Anspruch vorgesehenen Mittel der Lösung eines Problems dienen, das den Einsatz eines digitalen Buchs voraussetze.

Der im Streitfall ausschlaggebende Aspekt – die Ausgestaltung einer Schnittstelle nach definierten Vorgaben – steht indes in funktionellem Zusammenhang mit der Eignung des Geräts, wie ein Buch gehandhabt zu werden. Damit ist die entsprechende Ausgestaltung einer Schnittstelle bei einem Gerät, das diese Voraussetzungen nicht erfüllt, nicht als zur Erfindung gehörend offenbart.

Der Umstand, dass einzelne der in der Stammanmeldung angeführten Vorteile einer solchen Ausgestaltung möglicherweise auch bei anderen Geräten verwirklicht werden können, vermag eine abweichende Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Bei der Aufzählung dieser Vorteile steht die leichte Handhabbarkeit im Vordergrund. Angesichts dessen ist nicht unmittelbar und eindeutig offenbart, dass auch solche Ausgestaltungen zur Erfindung gehören, bei denen einzelne Vorteile bei einem Gerät erzielt werden, das nicht wie ein Buch benutzt werden kann.

Kommentar / Fazit:

Die Entscheidung bestätigt das Verständnis des Schutzbereichs einer Patentanmeldung bis zum Abschluss der Prüfungsphase als vorläufig. Erst im Zuge der Prüfung und mit der Kenntnis des relevanten Stands der Technik lässt sich abschätzen, welcher Gegenstand schutzfähig ist und für welchen Gegenstande in welchem Umfang Schutz begehrt werden kann.

Die Entscheidung bestätigt ferner, dass, selbst wenn  alle in einer Anmeldung geschilderten Ausführungsbeispiele ein bestimmtes Merkmal aufweisen, einem Schutz  für Ausführungsformen ohne dieses Merkmal nichts entgegen steht, wenn sich dem Inhalt der Anmeldung kein konkreter Bezug zwischen dem betreffenden Merkmal und den im Anspruch vorgesehenen Mitteln zur Lösung
eines geschilderten technischen Problems entnehmen lässt.

Anders verhält es sich, wenn Merkmale zur Lösung eines Problems beansprucht werden, welche ein weiteres Merkmal vorraussetzen, aber dieses Merkmal nicht in den Ansprüchen mit aufgeführt ist.

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