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BGH: X ZR 76/14 – V – förmige Führungsanordnung

Der X. Senat des Bundesgerichtshofs hat sich in seinem Beschluss BGH: X ZR 76/14 – V – förmige Führungsanordnung vom 23. August 2016 mit den Anforderungen an gleichwirkende Austauschmittel und damit an die Verletzung eines Patents mit äquivalenten Mitteln auseinander gesetzt. Der X Senat stellte in einem Leitsatz klar:

Die Orientierung der Überlegungen des Fachmanns, mit denen er ein im Sinne des Merkmals der Erfindung gleichwirkendes Austauschmittel als gleichwirkend auffinden kann, am Patentanspruch und damit die Verletzung des Patents mit äquivalenten Mitteln kann regelmäßig nicht mit der Begründung verneint werden, der Patentinhaber habe sich mit der konkreten Formulierung des Merkmals auf eine dessen Wortsinn entsprechende Ausgestaltung festgelegt.

Die Historie:

Die Klägerin ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 259 105 (Klagepatent), das unter Inanspruchnahme der Priorität zweier britischer Patentanmeldungen vom 4. Februar und 31. Mai 2000 am 31. Januar 2001 angemeldet wurde und ein austauschbares Verschleißteil zur Montage an einer vorderen Kante eines Arbeitswerkzeugs betrifft.

Die Beklagte bietet in der Bundesrepublik Deutschland unter der Bezeichnung „Euroshare M7“ austauschbare Verschleißteile für Landmaschinen (angegriffene Ausführungsform) an. Diese werden an einem mitgelieferten Adapter montiert, der seinerseits mit Bolzen an dem Arbeitswerkzeug befestigt wird.

Die Klägerin hat die Beklagte wegen unmittelbarer Verletzung des Klagepatents auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung und die Feststellung der Verpflichtung zum Schadensersatz in Anspruch genommen.

Aus den Gründen:

Der X. Senat führte aus, dass eine Verletzung eines Streitpatents nur dann verneint werden könne, wenn die Überlegungen des Fachmanns, mit welchen er eine Ausgestaltung als gleichwirkend zu erkennen vermöchte, nicht am Sinn (Sinngehalt) der im Patentanspruch bezeichneten technischen Lehre orientiert wären und diese Ausgestaltung folglich aus fachmännischer Sicht nicht als gleichwertig (äquivalent) angesehen werden könnte. (Siehe auch: BGH, Urteil vom 12. März 2002 – X ZR 168/00 , BGHZ 150, 149, 154 – Schneidmesser I; Urteil vom 14. Dezember 2010 – X ZR 193/03 , GRUR 2011, 313 Rn. 35 – Crimpwerkzeug IV; Urteil vom 13. Januar 2015 – X ZR 81/13 , GRUR 2015, 361 Rn. 18 – Kochgefäß).

Entscheidend für die Beurteilung der Frage, ob die Überlegung des Fachmanns, er könne die Wirkung der durch ein Merkmal  gelehrten Querschnittsform auch mit der als U-förmig bezeichneten Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform erreichen, am Patentanspruch orientiert ist, dürfe nicht ein kategorialer Vergleich unterschiedlicher geometrischer Formen sein. Vielmehr käme es darauf an, was der Fachmann Merkmal für sich genommen und im Zusammenhang mit der erfindungsgemäßen Lehre über eine technisch mögliche Abwandlung der Querschnittsform der Führungsanordnungen, die nicht mehr als V-förmig begriffen werden könne, zu entnehmen vermöge.

Denn für die Beurteilung der Frage, ob die Überlegungen des Fachmanns, die ihm die Ersetzung eines wortsinngemäßen Merkmals durch ein abgewandeltes, aber im Zusammenhang der technischen Lehre des Patents gleichwirkendes Mittel erlauben, am Patentanspruch orientiert sei, käme es im Zweifel weniger auf die räumlich-körperliche Ausgestaltung des Mittels als solche als vielmehr auf deren Funktion im Kontext der patentgemäßen Lehre an.

Ein Patentinhaber lege sich stets auf eine technische Ausgestaltung „fest“, die dem Wortsinn dieser Konkretisierung entspricht. Eine solche „Festlegung“ determiniere weder positiv noch negativ die Frage, ob sich aus fachmännischer Sicht gleichwirkende Austauschmittel als gleichwertig (äquivalent) darstellen.

Daran ändere sich auch die nichts, wenn eine technische Lehre der Erfindung hinsichtlich der Querschnittsform der Führungsanordnungen stärker konkretisiert sein mag als hinsichtlich der Art und Weise ihres keilförmigen Ineinandergreifens. Eine solche stärkere Konkretisierung mag Auswirkungen auf die Bestimmung von Art und Umfang möglicher äquivalenter Mittel haben. Sie begründe für sich jedoch keinen Ausschluss sämtlicher oder bestimmter Austauschmittel aus dem Schutzbereich des Klagepatents.

Eine Verletzung des Klagepatents mit äquivalenten Mitteln könne schließlich auch nicht unter Berufung auf die vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze zur Auswahlentscheidung verneint werden.

Für Fallgestaltungen, in denen dem Patentanspruch eine Auswahlentscheidung zwischen verschiedenen Möglichkeiten zugrunde liegt, hat der Senat das Erfordernis der Ausrichtung am Patentanspruch dahin konkretisiert, dass die fachmännischen Überlegungen zu möglichen Abwandlungen gerade auch mit dieser Auswahlentscheidung in Einklang stehen müssen. Deshalb sei eine Patentverletzung mit äquivalenten Mitteln in der Regel zu verneinen, wenn die Beschreibung mehrere Möglichkeiten offenbare, wie eine bestimmte technische Wirkung erzielt werden kann, jedoch nur eine dieser Möglichkeiten in den Patentanspruch aufgenommen worden sei ( BGH, Urteil vom 10. Mai 2011 – X ZR 16/09 , BGHZ 189, 330 Rn. 36 – Okklusionsvorrichtung; Urteil vom 13. September 2011 – X ZR 69/10 , GRUR 2012, 45 Rn. 44 – Diglycidverbindung).

Diese Voraussetzungen seien im Streitfall nicht erfüllt.

Offenbleiben könne, ob der Inhalt der Beschreibung in einer früheren Fassung des Patents überhaupt zur Auslegung des Patentanspruchs und zur Bestimmung seines Schutzbereichs herangezogen werden könne.

Denn in der früheren Fassung der Beschreibung sei mit dem Hinweis auf andere mögliche Querschnittsformen eine U-förmige Ausgestaltung nicht offenbart. Vielmehr offenbare auch die ursprüngliche Fassung der Beschreibung des Klagepatents nur die V-Form als bevorzugte Ausgestaltung des Querschnitts der Führungsanordnungen. In einer solchen Konstellation ist die Einbeziehung von Äquivalenten zu der offenbarten Ausführungsform regelmäßig nicht ausgeschlossen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 2016 – X ZR 29/15 , GRUR 2016, 921 Rn. 53-61 – Pemetrexed (siehe auch: http://schorr-ip.de/news/pemetrexed). Gesichtspunkte, aus denen sich ergeben könnte, dass die im Patentanspruch erfolgte Fokussierung auf die V-Form gleichwohl auf einer Auswahl beruhe, die es ausschlösse, gleichwirkende Querschnittsformen der Führungsanordnungen in den Schutzbereich einzubeziehen (s. dazu BGH, […] Rn. 62-68 – Pemetrexed), sei weder festgestellt noch für den Senat erkennbar.

Kommentar / Fazit:

Die Entscheidung präzisiert die vorangegangen Entscheidungen  Okklusionsvorrichtung und Diglycidverbindung und grenzt sich gegen die Ausnahmetatbeständer der Entscheidung Pemetrexed ab.

In der Praxis werden Patentansprüche, insbesondere einzelne technische Merkmale, gattungsartig breit gefasst. Unter diese Merkmale fallen oft mehrere Möglichkeiten der Umsetzung (Bsp. Haltemittel: Nagel, Schraube, Niet, Haken, Schweißverbindung, etc.).

Präferierte Möglichkeiten werden in den Beschreibungen oft als als gleichwertige Lösungen genannt, um Umgehungslösungen zu verhindern und um Offenbarung gegen das Anmelden von Schutzrechten Dritter zu ähnlichen Gegenständen zu schaffen.

Nicht selten müssen aber Anmelder eine Ausnahmeentscheidung aufgrund einer (unglücklicher) Erteilungsgeschichte treffen, beispielsweise um Patentfähigkeit herzustellen. Solchenfalls wird der Patentanspruch nachträglich beschränkt: Hierbei handelt es sich um eine (spezifische und dokumentierte) Auswahlentscheidung. Die Beschreibung enthält in der Regel Argumente für ein weit(er)es Anspruchsverständnis, woran auch die Entscheidung Okklusionsvorrichtung nichts Grundsätzliches ändern wollte.

Wann äquivalente Patentverletzung gilt sei am Beispiel der Entscheidung vom 13.9.2011 – X ZR 69/10 GRUR 2012, 45 – Diglycidverbindung beschrieben:

Ausgangssituation:

Beschreibung: Verfahren A und Verfahren B

Patentanspruch : Verfahren A

angegriffene Ausführungsform: Verfahren C

Äquivalente Patentverletzung gilt nunmehr dann, wenn …

1) … sich die abgewandelte Lösung C in ihren spezifischen Wirkungen mit der unter Schutz gestellten Lösung (A) deckt.

2) … seine Fachkenntnisse am Prioritätstag den Fachmann befähigten, die abgewandelten Mittel (C) – ohne erfinderische Tätigkeit – als gleichwirkend aufzufinden.

3) … die Überlegungen, die der Fachmann dazu (Fragen 1 und 2) anstellen musste, derart am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Lehre (A) orientiert sind, dass der Fachmann die abweichende Ausführung (C ) mit ihren abgewandelten Mitteln als gleichwertige Lösung in Betracht zog,

weil sie sich in ähnlicher Weise wie diese Lösung (A) von der nur in der Beschreibung, nicht aber im Patentanspruch aufgezeigten Lösungsvariante (B) unterscheidet.

Folge:  äquivalente Patentverletzung nur dann, wenn das benutzte Verfahren C „näher“ am offenbarten und beanspruchten Verfahren A ist, als an dem offenbarten, aber nicht beanspruchten Verfahren B

Diglycidverbindung

Die Vorliegende Entscheidung präzisiert nun, dass C äquivalent verletzt, wenn es unter ein allgemeines Lösungsprinzip fällt, das A, B und C löst.

Für die Praxis heisst das nun, das frühzeitig abzuschätzen ist, ob ein ggf. breit gewählter Merkmalsbegriff im Anmelde- oder einem möglichen Einspruchsverfahren präzisiert werden muß. Solchenfalls wäre die Beschreibung des Merkmalsbegriff kurz zu fassen und nur eine Präzisierung zu nennen. So wäre Anspruch und Beschreibung deckungsgleich.

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