BGH: I ZR 197/15: Bodendübel
Der I. Senat des Bundesgerichtshofs hat sich in seinem Beschluss I ZR 197/15 Bodendübel vom 15. Dezember 2016 der wettbewerblichen Eigenart von (vormals) patentrechtlich geschützten Erzeugnissen gewidmet. Er hielt hierzu fest:
a) Einem (zuvor) patentgeschützten Erzeugnis kann wettbewerbliche Eigenart zukommen. Dabei können nicht nur solche Merkmale eines derartigen Erzeugnisses wettbewerbliche Eigenart begründen, die von der patentierten technischen Lösung unabhängig sind. Einem Erzeugnis ist im Hinblick auf den (früheren) Patentschutz seiner Merkmale die wettbewerbliche Eigenart nicht von vornherein zu versagen und es dadurch schlechter zu stellen als andere technische Erzeugnisse, die nicht unter Patentschutz standen. b) Der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz sieht keinen allgemeinen Nachahmungsschutz einer technisch bedingten Produktgestaltung vor, sondern dient der Absicherung eines konkreten Leistungsergebnisses vor Nachahmungen, die im Einzelfall aufgrund eines unlauteren Verhaltens des Mitbewerbers zu missbilligen sind. Damit können die formgebenden technischen Merkmale eines Erzeugnisses als Herkunftshinweis dienen, auch wenn sie zur Monopolisierung der Warenform als dreidimensionale Marke ungeeignet sind.
Die Historie:
Die Klägerin stellt seit 1986 Bodendübel her, die sie unter der Bezeichnung „W. F. “ vertreibt. Der Dübel wird in den Boden eingeschlagen; anschließend können darin Pfosten eingesteckt oder Stangen aufgeschraubt werden. Der Bodendübel war bis Mai 2006 durch das europäische Patent der Klägerin 0 243 376 als Vorrichtung zum Befestigen von stabförmigen Gegenständen, insbesondere Pfosten, im Erdreich geschützt.
Die Klägerin war außerdem Inhaberin der am 27. September 2005 angemeldeten und am 4. Oktober 2007 für Bodenanker aus Metall eingetragenen nachfolgend wiedergegebenen dreidimensionalen Gemeinschaftsmarke Nr. 004655163 (im Folgenden: Klagemarke).
Die in Slowenien geschäftsansässige A. d.o.o. (im Folgenden: A. ) stellt ebenfalls Bodendübel her. Zu ihren Abnehmern gehört die Beklagte, die im März 2012 Bodendübel für befestigte Oberflächen (Ausführungsform a) und mit flügelartigen Verdrehsicherungen für weiche Böden (Ausführungsform b) an einen Käufer lieferte. Die Bodendübel werden mit auf den Flanschen zu befestigenden Spannplatten vertrieben, in die die Bezeichnung „A. “ eingeprägt ist und die in Tüten verpackt sind, auf denen die Firma des slowenischen Herstellers aufgedruckt ist.
Die Klägerin hält die von der Beklagten vertriebenen Erzeugnisse für unlautere Nachahmungen ihres Produkts. Sie hat die Beklagte auf Unterlassung der Bewerbung, des Angebots und des Inverkehrbringens der Bodendübel in beiden Ausführungsformen in Anspruch genommen.
Auf den Antrag der A. hat das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt am 31. März 2013 die Klagemarke für nichtig erklärt und die dagegen von der Klägerin eingelegte Beschwerde am 15. Juli 2015 zurückgewiesen. Diese Entscheidung ist rechtskräftig geworden.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter.
Aus den Gründen:
Nachfolgend werden die Aspekte der Entscheidung, die die wettbewerbliche Eigenart von Erzeugnissen betreffend, skizziert. Die weiteren Umstände und Entscheidungsgründe treten dabei in den Hintergrund.
Der I. Senat des BGH stellte fest, dass die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision Erfolg habe.
Der Vertrieb einer Nachahmung könne nach § 4 Nr. 9 UWG aF und § 4 Nr. 3 UWG wettbewerbswidrig sein, wenn das nachgeahmte Produkt wettbewerbliche Eigenart aufweise und besondere Umstände – wie eine vermeidbare Täuschung über die betriebliche Herkunft (Buchst. a) oder eine unangemessene Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung des nachgeahmten Produkts (Buchst. b) – hinzutreten, aus denen die Unlauterkeit folgt. Dabei bestünde eine Wechselwirkung zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie den besonderen wettbewerblichen Umständen. Je größer die wettbewerbliche Eigenart und je höher der Grad der Übernahme seien, desto geringere Anforderungen seien an die besonderen Umstände zu stellen, die die Unlauterkeit der Nachahmung begründen und umgekehrt ( BGH, Urteil vom 28. Mai 2009 – I ZR 124/06 , GRUR 2010, 80 Rn. 23 = WRP 2010, 94 – LIKEaBIKE; Urteil vom 17. Juli 2013 – I ZR 21/12 , GRUR 2013, 1052 Rn. 18 = WRP 2013, 1339 – Einkaufswagen III; Urteil vom 19. November 2015 – I ZR 109/14 , GRUR 2016, 720 Rn. 16 = WRP 2016, 854 – Hot Sox; Urteil vom 2. Dezember 2015 – I ZR 176/14 , GRUR 2016, 730 Rn. 31 = WRP 2016, 966 – Herrnhuter Stern).
Der I. Senat stellte fest, dass ein Erzeugnis wettbewerbliche Eigenart besäße, wenn seine konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale geeignet sind, die interessierten Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen. Das gelte auch für technische Erzeugnisse (vgl. BGH, Urteil vom 2. April 2009 – I ZR 199/06 , GRUR 2009, 1073Rn. 10 = WRP 2009, 1372 – Ausbeinmesser; Urteil vom 15. April 2010 – I ZR 145/08 , GRUR 2010, 1125 Rn. 21 = WRP 2010, 1465 – Femur-Teil; Urteil vom 24. Januar 2013 – I ZR 136/11, GRUR 2013, 951 Rn. 19 = WRP 2013, 1188 – Regalsystem; Urteil vom 22. Januar 2015 – I ZR 107/13 , GRUR 2015, 909 Rn. 10 = WRP 2015, 1090 – Exzenterzähne).
Für die Bestimmung der wettbewerblichen Eigenart sei der Gesamteindruck des nachgeahmten Erzeugnisses maßgebend. Dieser könne durch Gestaltungsmerkmale bestimmt oder mitbestimmt werden, die zwar nicht für sich genommen, aber in ihrem Zusammenwirken geeignet sind, im Verkehr auf die Herkunft des nachgeahmten Produkts aus einem bestimmten Unternehmen hinzuweisen (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2012 – I ZR 21/11 , GRUR 2012, 1155 Rn. 31 = WRP 2012, 1379 – Sandmalkasten; BGH, GRUR 2013, 951 Rn. 19 [BGH 24.01.2013 – I ZR 136/11] – Regalsystem; GRUR 2013, 1052 Rn. 19 [BGH 17.07.2013 – I ZR 21/12] – Einkaufswagen III; GRUR 2015, 909 Rn. 20 [BGH 22.01.2015 – I ZR 107/13] – Exzenterzähne; GRUR 2016, 730 Rn. 33 [BGH 02.12.2015 – I ZR 176/14] – Herrnhuter Stern).
Technisch notwendige Gestaltungsmerkmale – also Merkmale, die bei gleichartigen Erzeugnissen aus technischen Gründen zwingend verwendet werden müssen – könnten jedoch aus Rechtsgründen keine wettbewerbliche Eigenart begründen. Die Übernahme solcher nicht oder nicht mehr unter Sonderrechtsschutz stehender Gestaltungsmerkmale sei mit Rücksicht auf den Grundsatz des freien Stands der Technik wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden. Handele es sich dagegen nicht um technisch notwendige Merkmale, sondern nur um solche, die zwar technisch bedingt, aber frei austauschbar seien, ohne dass damit Qualitätseinbußen verbunden seien, könnten sie eine wettbewerbliche Eigenart (mit)begründen, sofern der Verkehr wegen dieser Merkmale auf die Herkunft der Erzeugnisse aus einem bestimmten Unternehmen Wert legt oder mit ihnen gewisse Qualitätserwartungen verbindet (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 1999 – I ZR 101/97 , GRUR 2000, 521, 523 = WRP 2000, 493 – Modulgerüst I; BGH, GRUR 2010, 80 Rn. 27 [BGH 28.05.2009 – I ZR 124/06] – LIKEaBIKE; GRUR 2010, 1125 Rn. 22 [BGH 15.04.2010 – I ZR 145/08] – Femur-Teil; GRUR 2012, 1155 Rn. 27 [BGH 22.03.2012 – I ZR 21/11] – Sandmalkasten; GRUR 2013, 951 Rn. 19 [BGH 24.01.2013 – I ZR 136/11] – Regalsystem; GRUR 2013, 1052 Rn. 18 [BGH 17.07.2013 – I ZR 21/12] – Einkaufswagen III; GRUR 2015, 909 Rn. 18 [BGH 22.01.2015 – I ZR 107/13] und 24 – Exzenterzähne).
Ein Gestaltungsmerkmal sei technisch notwendig, wenn ein bestimmter technischer Erfolg nur mithilfe dieses Merkmals und nicht auch auf andere Weise erreicht werden kann (vgl. BGH, GRUR 2000, 521, 523 [BGH 08.12.1999 – I ZR 101/97] – Modulgerüst I; BGH, Urteil vom 21. September 2006 – I ZR 270/03 , GRUR 2007, 339 Rn. 27 = WRP 2007, 313 – Stufenleitern; Urteil vom 24. Mai 2007 – I ZR 104/04 , GRUR 2007, 984 Rn. 20 = WRP 2007, 1455 – Gartenliege; BGH, GRUR 2015, 909 Rn. 24 [BGH 22.01.2015 – I ZR 107/13] – Exzenterzähne).
Der technische Erfolg beurteile sich nach der technischen Funktion des Erzeugnisses im Hinblick auf den konkreten Gebrauchszweck (vgl. BGH, GRUR 2000, 521, 523 f. [BGH 08.12.1999 – I ZR 101/97] – Modulgerüst I; BGH, Urteil vom 24. März 2005 – I ZR 131/02 , GRUR 2005, 600, 602 = WRP 2005, 878 – Handtuchklemmen; BGH, GRUR 2007, 984 Rn. 20 [BGH 24.05.2007 – I ZR 104/04] – Gartenliege; GRUR 2009, 1073 Rn. 13 f. [BGH 02.04.2009 – I ZR 199/06] – Ausbeinmesser; GRUR 2010, 80 Rn. 28 [BGH 28.05.2009 – I ZR 124/06] – LIKEaBIKE; GRUR 2015, 909 Rn. 24 ff. [BGH 22.01.2015 – I ZR 107/13] – Exzenterzähne; GRUR 2016, 720 Rn. 24 [BGH 19.11.2015 – I ZR 109/14] – Hot Sox).
Technisch nicht notwendige, sondern technisch lediglich bedingte, aber ohne Qualitätseinbußen frei austauschbare Gestaltungsmerkmale könnten eine wettbewerbliche Eigenart (mit)begründen, sofern der Verkehr wegen dieser Merkmale auf die Herkunft der Erzeugnisse aus einem bestimmten Unternehmen Wert legt oder mit ihnen gewisse Qualitätserwartungen verbindet (BGH, GRUR 2015, 909 Rn. 26 [BGH 22.01.2015 – I ZR 107/13] – Exzenterzähne). Der Vergleich mit anderen marktgängigen, denselben technischen Zweck erfüllenden Produkten könne zeigen, dass die Ausgestaltung der technischen Merkmale für sich genommen oder zumindest in ihrer Kombination nicht technisch notwendig ist (vgl. BGH, GRUR 2000, 521, 524 [BGH 08.12.1999 – I ZR 101/97] – Modulgerüst I; GRUR 2010, 1125 Rn. 23 [BGH 15.04.2010 – I ZR 145/08] – Femur-Teil; GRUR 2013, 951 Rn. 21 [BGH 24.01.2013 – I ZR 136/11] und 24 – Regalsystem; GRUR 2013, 1052Rn. 21 [BGH 17.07.2013 – I ZR 21/12] – Einkaufswagen III; GRUR 2015, 909 Rn. 24 [BGH 22.01.2015 – I ZR 107/13] – Exzenterzähne).
Für ein ehemals patentgeschütztes Produkt könne nichts anderes gelten. Bei der Frage, ob Gestaltungsmerkmale technisch notwendig oder lediglich technisch bedingt seien, sei auf andere Produkte abzustellen, die denselben technischen Zweck erfüllen.
Einem Erzeugnis fehle die wettbewerbliche Eigenart, wenn der Verkehr bei ihm keinen Wert auf die Herkunft aus einem bestimmten Unternehmen lege. Das könne bei „Allerweltserzeugnissen“ oder „Dutzendware“ der Fall sein (vgl. BGH, Urteil vom 3. Mai 1968 – I ZR 66/66 , BGHZ 50, 125, 130 – Pulverbehälter; BGH, GRUR 2007, 339 Rn. 26 [BGH 21.09.2006 – I ZR 270/03] – Stufenleitern; GRUR 2009, 1073 Rn. 10 [BGH 02.04.2009 – I ZR 199/06] – Ausbeinmesser; GRUR 2012, 1179 Rn. 34 – Sandmalkasten; GRUR 2016, 730 Rn. 40 [BGH 02.12.2015 – I ZR 176/14] – Herrnhuter Stern).
Die wettbewerbliche Eigenart eines Erzeugnisses kann entfallen, wenn der Verkehr dessen prägende Gestaltungsmerkmale aufgrund der Marktverhältnisse nicht (mehr) einem bestimmten Hersteller oder einem mit diesem durch einen Lizenz- oder Gesellschaftsvertrag verbundenen Unternehmen zuordnet (vgl. BGH, GRUR 2007, 984 Rn. 23 [BGH 24.05.2007 – I ZR 104/04] , 25 und 32 – Gartenliege; GRUR 2015, 909 Rn. 11 [BGH 22.01.2015 – I ZR 107/13] – Exzenterzähne; GRUR 2016, 720 Rn. 16 [BGH 19.11.2015 – I ZR 109/14] – Hot Sox; GRUR 2017, 79 Rn. 52 [BGH 04.05.2016 – I ZR 58/14] – Segmentstruktur). Das kann der Fall sein, wenn der Hersteller sein Erzeugnis an verschiedene Unternehmen liefert, die es in großem Umfang unter eigenen Kennzeichnungen vertreiben (vgl. BGH, GRUR 2007, 984 Rn. 26 [BGH 24.05.2007 – I ZR 104/04] – Gartenliege; GRUR 2015, 909 Rn. 14 [BGH 22.01.2015 – I ZR 107/13] – Exzenterzähne; GRUR 2016, 720 Rn. 28 [BGH 19.11.2015 – I ZR 109/14] – Hot Sox). Voraussetzung ist, dass der Verkehr die weiteren Kennzeichnungen als Herstellerangaben und nicht als Handelsmarken ansieht (vgl. BGH, GRUR 2007, 984 Rn. 26 [BGH 24.05.2007 – I ZR 104/04] – Gartenliege; BGH, Urteil vom 2. April 2009 – I ZR 144/06 , GRUR 2009, 1069 Rn. 16 bis 18 = WRP 2009, 1509 – Knoblauchwürste; BGH, GRUR 2015, 909 Rn. 14 [BGH 22.01.2015 – I ZR 107/13] – Exzenterzähne; GRUR 2016, 720 Rn. 26 f. [BGH 19.11.2015 – I ZR 109/14] – Hot Sox).
Eine Nachahmung setze voraus, dass das angegriffene Produkt dem Originalprodukt so ähnlich ist, dass es sich in ihm wiedererkennen lässt (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 2015 – I ZR 105/14 , GRUR 2015, 1214 Rn. 78 = WRP 2015, 1477 – Goldbären; BGH, GRUR 2017, 79 Rn. 64 [BGH 04.05.2016 – I ZR 58/14] – Segmentstruktur). Die Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Erzeugnisse sei nach ihrem Gesamteindruck zu beurteilen. Dabei müssten gerade die übernommenen Gestaltungsmittel diejenigen sein, die die wettbewerbliche Eigenart des Erzeugnisses ausmachen, für das Schutz beansprucht wird (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 2007 – I ZR 198/04 , GRUR 2007, 795 Rn. 32 = WRP 2007, 1076 – Handtaschen; BGH, GRUR 2010, 1125 Rn. 25 [BGH 15.04.2010 – I ZR 145/08] – Femur-Teil; GRUR 2016, 730 Rn. 47 [BGH 02.12.2015 – I ZR 176/14] – Herrnhuter Stern).
Eine Herkunftstäuschung sei vermeidbar, wenn sie durch geeignete und zumutbare Maßnahmen verhindert werden kann. Ob und welche Maßnahmen dem Wettbewerber zur Verhinderung einer Herkunftstäuschung zugemutet werden können, sei anhand einer umfassenden Interessenabwägung zu beurteilen. Bei dieser Abwägung sei unter anderem das Interesse des Herstellers des Originalerzeugnisses an der Vermeidung einer Herkunftstäuschung, das Interesse des Wettbewerbers an der Nutzung nicht unter Sonderrechtsschutz stehender Gestaltungselemente sowie das Interesse der Abnehmer an einem Preis- und Leistungswettbewerb zwischen den unterschiedlichen Anbietern zu berücksichtigen.
Bei einer (nahezu) identischen Nachahmung gelte allerdings im Hinblick auf die Zulässigkeit der Übernahme von Merkmalen, die dem freien Stand der Technik angehören und der angemessenen Lösung einer technischen Aufgabe dienen, ein strengerer Maßstab als bei einem geringeren Grad der Übernahme (vgl. BGH, GRUR 2012, 1155 Rn. 39 [BGH 22.03.2012 – I ZR 21/11] – Sandmalkasten; GRUR 2015, 909 Rn. 36 [BGH 22.01.2015 – I ZR 107/13] – Exzenterzähne). Bei einer (nahezu) identischen Übernahme könne sich der Nachahmer grundsätzlich nicht darauf berufen, er habe lediglich eine nicht unter Sonderrechtsschutz stehende angemessene technische Lösung übernommen. Führt die Übernahme solcher Merkmale zu einer (nahezu) identischen Nachahmung, ist es einem Wettbewerber regelmäßig zuzumuten, auf eine andere angemessene technische Lösung auszuweichen, wenn er der Gefahr einer Herkunftstäuschung nicht auf andere Weise – etwa durch eine (unterscheidende) Kennzeichnung seiner Produkte – entgegenwirken kann (BGH, GRUR 2015, 909 Rn. 36 [BGH 22.01.2015 – I ZR 107/13] – Exzenterzähne).
Eine Herkunftstäuschung könne durch eine deutlich sichtbare, sich vom Originalprodukt unterscheidende Kennzeichnung der Nachahmung ausgeräumt werden, wenn die angesprochenen Verkehrskreise diese einem bestimmten Unternehmen nicht allein anhand ihrer Gestaltung zuordnen, sondern sich beim Kauf auch an den Herstellerangaben in der Werbung, den Angebotsunterlagen oder an der am Produkt angebrachten Herstellerkennzeichnung orientieren (vgl. BGH, GRUR 2000, 521, 524 [BGH 08.12.1999 – I ZR 101/97] – Modulgerüst I; GRUR 2010, 1125 Rn. 28 [BGH 15.04.2010 – I ZR 145/08] – Femur-Teil; GRUR 2013, 951 Rn. 32 [BGH 24.01.2013 – I ZR 136/11] – Regalsystem; GRUR 2013, 1052 Rn. 38 [BGH 17.07.2013 – I ZR 21/12] – Einkaufswagen III; GRUR 2015, 909 Rn. 37 [BGH 22.01.2015 – I ZR 107/13] – Exzenterzähne).
Kommentar / Fazit:
Der BGH bestätigt, dass zuvor durch Schutzrechte (Patent, Dreidimensionale Marke) geschützte Erzeugnisse, auch nach Ablauf des Schutzrechtes einen gewissen Schutz gegen unlautere Nachahmung genießen. Die Bedingungen hieran sind jedoch eng geknüpt.
Das Erzeugnis muss wettbewerbliche Eigenart besitzen, die durch eine konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale begründet ist, die geeignet sind, die interessierten Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen. Außer Betracht fallen hierbei technisch notwendige oder lediglich technisch bedingt Gestaltungsmerkmale, es sei denn es wird ihnen vom Verkehr eine gewisse Qualitätserwartung zugeordnet.
Ob die Merkmale notwendig und technisch bedingt sind, lässt sich bei anderen Produkte nachvollziehen, die denselben technischen Zweck erfüllen.
Für die Bestimmung der wettbewerblichen Eigenart ist auch der Gesamteindruck des nachgeahmten Erzeugnisses maßgebend. Dieser kann durch Gestaltungsmerkmale bestimmt oder mitbestimmt werden, die zwar nicht für sich genommen, aber in ihrem Zusammenwirken geeignet sind, im Verkehr auf die Herkunft des nachgeahmten Produkts aus einem bestimmten Unternehmen hinzuweisen.
Eine Herkunftstäuschung ist vermeidbar, wenn sie durch geeignete und zumutbare Maßnahmen verhindert werden kann. Das bedeutet, dass insbesondere (nahezu) identische Nachahmungen zu einer Herkunftstäuschung führen können. Solchenfalls kann ein Verstoß auf Grundlage des unlauteren Wettbewerbsrechts vorliegen.