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BGH: X ZR 16/17 – Scheinwerferbelüftungssystem

Der X. Senat des Bundesgerichtshofs hat sich in seinem Beschluss X ZR 16/17 Scheinwerferbelüftungssystem vom 27. November 2018 mit der Auslegung von Patentansprüchen beschäftigt. Er hielt hierzu fest:

Bei der Auslegung eines Patentanspruchs ist zu berücksichtigen, dass sich ein Patent mit seiner Lehre von dem in ihm beschriebenen Stand der Technik abzugrenzen sucht. Wird in der Beschreibung ein bekannter Stand der Technik mit dem Oberbegriff eines Patentanspruchs gleichgesetzt, ist den Merkmalen des kennzeichnenden Teils im Zweifel kein Verständnis beizumessen, demzufolge diese sich in demjenigen Stand der Technik wiederfinden, von dem sie sich gerade unterscheiden sollen.

Die Historie:

Die Beklagte war Inhaberin des europäischen Patents 764 811 (Streitpatents), das am 19. September 1996 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 19. September 1995 angemeldet worden und während des erstinstanzlichen Verfahrens durch Zeitablauf erloschen ist. Das Streitpatent umfasst sieben Patentansprüche.

Die von der Beklagten in einem Verletzungsrechtsstreit in Anspruch genommene Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei mangels Neuheit und erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig.

Das Patentgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die weiterhin eine Nichtigerklärung des Streitpatents im vollen Umfang begehrt. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen und verteidigt das Streitpatent ferner in der Fassung von zwei Hilfsanträgen.

Aus den Gründen:

Nachfolgend wird im Schwerpunkt der Aspekt der Auslegung von Patentansprüchen beleuchtet. Die weiteren Aspekte treten bei der folgenden Betrachtung in den Hintergrund.

Der X. Senat stellt zunächst fest, dass die Nichtigkeitsklage nach Erlöschen des Streitpatents infolge Ablaufs der Höchstschutzdauer weiterhin zulässig sei. Das Rechtsschutzbedürfnis ergebe sich daraus, dass eine Nichtigerklärung des Streitpatents der im Verletzungsprozess unterlegenen Klägerin die Möglichkeit eröffne, im Wege der Restitutionsklage gegen ihre Verurteilung vorzugehen ( BGH, Urteil vom 15. November 2005 – X ZR 17/02 , GRUR 2006, 316 [zu I.] – Koksofentür).

Der X. Senat führte zum Grundsatz, dass sich ein Patent mit seiner Lehre von dem in ihm beschriebenen Stand der Technik abzugrenzen sucht, aus: Wird in der Beschreibung ein bekannter Stand der Technik mit dem Oberbegriff eines Patentanspruchs gleichgesetzt, ist den Merkmalen des kennzeichnenden Teils im Zweifel kein Verständnis beizumessen, demzufolge diese sich in demjenigen Stand der Technik wiederfinden, von dem sie sich gerade unterscheiden sollen (vgl. High Court of England and Wales [Jacob J.], RPC 1995, 705 – Beloit Technologies Inc. v. Valmet Paper Machinery Inc., [auszugsweise GRUR Int. 1997, 373 f.]; Benkard/Scharen, PatG, 11. Aufl., § 14 Rn. 61).

Das Streitpatent nehme für die Beschreibung des Standes der Technik Bezug auf die Entgegenhaltung NK5 und bezeichne die darin offenbarte Vorrichtung als eine solche, die dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 entspricht. Der – u.a. – aus der NK5 bekannte gewundene Weg soll zur Erzielung eines besseren Sperreffekts durch die Ausbildung des erfindungsgemäßen Labyrinths (der Schikane) weiterentwickelt werden. NK5 zeigt (siehe dazu unten Rn. 29) eine Richtungsänderung von den beiden Lufteintrittsöffnungen hin zum dazu quer liegenden Eintrittskanal gemäß Merkmal 2.2.2 sowie eine weitere Richtungsänderung mit einem Winkel von 90 Grad. Eine Einbeziehung der Richtungsänderung zwischen Lufteintrittsöffnungen und Eintrittskanal gemäß Merkmal 2.2.2 in die Anzahl der Richtungsänderungen gemäß Merkmal 2.3 führte folglich – jedenfalls dann, wenn mit dem Patentgericht keine weitergehenden Anforderungen an den Winkel der Richtungsänderung gestellt werden – dazu, dass auch NK5 ein Labyrinth mit zweifacher Richtungsänderung (Merkmal 2.3) verwirklichte und das Merkmal mithin die angestrebte Verbesserung des gewundenen Wegs gegenüber diesem Stand der Technik nicht zum Ausdruck brächte.

Kommentar / Fazit:

Der BGH legt wohlwollend die Interpretation des kennzeichnenden Teils von Patentansprüchen aus, beschränkt auf Zweifelsfälle, in denen ein Stand der Technik in der Patentschrift zitiert und der Patentanspruch gegenüber dieser Patentschrift abgegrenzt ist. Abgegrenzt bedeutet, das der Oberbegriff des Patentanspruchs (alles vor dem „dadurch gekennzeichnet, dass“) durch den zitierten Stand der Technik offenbart ist.

In diesen Fällen ist der Auslegung des kennzeichnenden Teils im Zweifel kein Verständnis beizumessen, demzufolge diese sich in demjenigen Stand der Technik wiederfinden, von dem sie sich gerade unterscheiden sollen.

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