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BGH: I ZB 3/17: Traubenzuckertäfelchen

Der I. Senat des Bundesgerichtshofs hat sich in seinem Beschluss I ZB 3/17 Traubenzuckertäfelchen vom 13. Oktober 2017 mit der Frage beschäfftigt, welche Formgestaltungen einer dreidimensionalen Marke technisch bedingt sind. Er hielt hierzu fest:

a) Nur solche Formgestaltungen sind technisch bedingt und vom Markenschutz gemäß § 3Abs. 2 Nr. 2 MarkenG ausgeschlossen, bei denen die von der Form erzeugte Wirkung technischer Natur ist. Vermittelt ein wesentliches Merkmal der Form allein geschmackliche, optische oder haptische Sinneseindrücke, liegen darin Wirkungen auf nichttechnischem Gebiet, so dass das Schutzhindernis nicht eingreift.
b) Im Löschungsverfahren bilden die drei in § 3 Abs. 2 MarkenG angeführten Schutzhindernisse keinen einheitlichen Streitgegenstand. Dem Bundespatentgericht ist es deshalb verwehrt, ein vom Löschungsantragsteller nicht geltend gemachtes Schutzhindernis von Amts wegen zu prüfen.
Die Historie:

Für die Markeninhaberin ist seit dem 6. August 2003 die dreidimensionale Marke Nr. 398 04 308 als verkehrsdurchgesetztes Zeichen für die Ware „Traubenzucker, auch für diätetische Zwecke sowie unter Zusatz von Geschmacksstoffen, Vitaminen, Proteinen, Mineralstoffen und/oder Spurenelementen“ eingetragen.

Der Antragsteller hat am 24. September 2012 beim Deutschen Patentund Markenamt die Löschung der Marke beantragt. Dabei hat er geltend gemacht, sämtliche Formmerkmale der dreidimensionalen Marke seien zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich, das angegriffene Zeichen sei deshalb dem Schutz als Marke nicht zugänglich, § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG . Zudem fehle dem Zeichen die erforderliche Unterscheidungskraft, § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG .

Das Deutsche Patent- und Markenamt hat die Löschung der Marke angeordnet. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Markeninhaberin ist erfolglos geblieben (BPatG, Beschluss vom 27. Dezember 2016 – 25 W [pat] 60/14, juris). Hiergegen wendet sich die Markeninhaberin mit der vom Bundespatentgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde. Der Antragsteller beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Das Bundespatentgericht hat angenommen, die angegriffene Marke sei gemäß § 50 Abs. 1 und 2 MarkenG zu löschen, weil sie nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG schutzunfähig sei. Dazu hat es ausgeführt:

„Die dreidimensionale Gestaltung bestehe ausschließlich aus einer Form, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich sei. Wesentliche Merkmale der angegriffenen Warenform seien die Stapelung von acht Täfelchen übereinander sowie bei den einzelnen Täfelchen die Wahl eines flachen Quaders mit abgerundeten Ecken und Kanten, der auf der großflächigen Seite eine mittig verlaufende Vertiefung nach Art einer Sollbruchstelle aufweise. Allen diesen wesentlichen Merkmalen seien technische Wirkungen zuzuschreiben. Die stapelbare Quaderform der Einzeltäfelchen und die Stapelung von mehreren Täfelchen ermöglichten eine platzsparende Konfektionierung von Traubenzuckerstücken. Ihre abgeschrägten Ecken und Kanten dienten dem angenehmeren Verzehr. Die Vertiefung in der Mitte der großflächigen Seiten der Einzeltäfelchen gewährleiste als Sollbruchstelle eine leichte und gleichmäßige Portionierung in kleinere Einheiten. Da die angegriffene Marke nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG schutzunfähig sei, könne dahinstehen, ob Schutzhindernisse gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG und § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG vorlägen.

Aus den Gründen:

Nachfolgend werden die Aspekte der Entscheidung, die Formgestaltungen einer dreidimensionalen Marke in Hinblick auf ihre technische Bedingtheit skizziert. Die weiteren Umstände und Entscheidungsgründe treten dabei in den Hintergrund. Ferner diskutiert der I. Senat des BGH zu einer Vielzahl von einzelnen Merkmalen deren technische Bedingtheit. Zur ausreichenden Kürze wird diese Diskussion nur ausschnittartig beleuchtet.

Der I. Senat des BGH stellte fest, dass die gegen diese Beurteilung gerichtete Rechtsbeschwerde Erfolg habe.

Im Hinblick auf die verkehrsdurchgesetzte Marke, verwies der I. Senat des BGH auf § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG, wonach ein Zeichen dem Schutz als Marke nicht zugänglich sei, das ausschließlich aus einer Form bestehe, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich sei. Sei ein Zeichen nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG schutzunfähig, könne dieses Schutzhindernis nicht durch Verkehrsdurchsetzung überwunden werden ( EuGH, Urteil vom 18. Juni 2002 – C-299/99 , Slg. 2002, I-5475 = GRUR 2002, 804 Rn. 47 – Philips/Remington; BGH, Urteil vom 4. September 2003 – I ZR 23/01 , BGHZ 156, 126, 134 – Farbmarkenverletzung I; Urteil vom 19. Februar 2009 – I ZR 195/06 , BGHZ 180, 77 Rn. 22 – UHU).

Ein Zeichen bestehe im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG ausschließlich aus einer Form, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist, wenn alle wesentlichen Merkmale der Form einer technischen Wirkung zuzuschreiben seien, selbst wenn die technische Wirkung auch durch andere Formen erzielt werden kann (vgl. EuGH, GRUR 2002, 804 [BGH 16.04.2002 – X ZR 127/99] Rn. 83 – Philips/ Remington; zu Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziffer ii GMV aF vgl. EuGH, GRUR 2010, 1008 Rn. 51 f. – Lego Juris [Lego-Stein]; EuGH, Urteil vom 11. Mai 2017 – C-421/15 , GRUR Int. 2017, 623 Rn. 27 – Yoshida/Pi-Design; BGHZ 182, 325 Rn. 25 – Legostein).

Für die Prüfung des Schutzhindernisses seien zunächst im Wege der Einzelfallbeurteilung die wesentlichen Merkmale des Formzeichens zu ermitteln, indem entweder zunächst die Bestandteile des Zeichens nacheinander einzeln geprüft würden oder unmittelbar der von dem Zeichen hervorgerufene Gesamteindruck zugrunde gelegt würde (vgl. EuGH, GRUR 2014, 1097 Rn. 21 – Hauck/ Stokke; zu Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziffer ii GMV aF vgl. EuGH, GRUR 2010, 1008 Rn. 70 – Lego Juris [Lego-Stein]; EuGH, Urteil vom 10. November 2016 – C-30/15 , GRUR 2017, 66 Rn. 40 – Simba Toys/Seven Towns). Bei der Ermittlung der wesentlichen Merkmale des Zeichens könne seine Wahrnehmung durch den Durchschnittsverbraucher Berücksichtigung finden (zu Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziffer ii GMV aF vgl. EuGH, GRUR 2010, 1008 Rn. 76 – Lego Juris [Lego-Stein]; Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, 11. Aufl., § 3 Rn. 123).

Sodann sei zu prüfen, ob alle diese wesentlichen Merkmale einer technischen Funktion der betreffenden Ware entsprechen (zu Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziffer ii GMV aF vgl. EuGH, GRUR 2010, 1008 Rn. 72 – Lego Juris [Lego-Stein]; GRUR 2017, 66 Rn. 42 und 46 ff. – Simba Toys/Seven Towns). Diese Prüfung habe grundsätzlich anhand objektiver Kriterien auf der Grundlage der graphischen Darstellung und der bei der Anmeldung eingereichten Beschreibungen zu erfolgen; nicht maßgeblich sei die Wahrnehmung der angesprochenen Verbraucher (zu Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziffer ii GMV aF vgl. EuGH, GRUR 2010, 1008 Rn. 75 f. – Lego Juris [Lego-Stein]; GRUR 2017, 66 [EuGH 10.11.2016 – C-30/15] Rn. 48 bis 52 – Simba Toys/Seven Towns; Hacker in Ströbele/Hacker aaO § 3 Rn. 125; Schalk in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz Urheberrecht Medienrecht, 3. Aufl., § 3 MarkenG Rn. 61; BeckOK MarkenR/Kur, 10. Edition [Stand: 1. Juni 2017], § 3 MarkenG Rn. 83).

Das Schutzhindernis des § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG greife nicht ein, wenn die Form der betreffenden Ware ein wesentliches nichtfunktionelles – wie ein dekoratives oder phantasievolles – Element aufweise, das für diese Form von Bedeutung ist (zu Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziffer ii GMV aF vgl. EuGH, GRUR 2010, 1008 Rn. 52 und 72 – Lego Juris [Lego-Stein]; GRUR Int. 2017, 623 Rn. 24, 27 und 30 – Yoshida/Pi-Design; BGHZ 182, 325 Rn. 30 – Legostein). In einem solchen Fall könne die technische Lösung von Mitbewerbern des Markeninhabers ohne Weiteres in Warenformen verkörpert werden, die ein anderes nichtfunktionelles Element als die Form der Ware des Markeninhabers aufweisen und weder mit ihr identisch noch ihr ähnlich sind, so dass die Gefahr einer Beeinträchtigung der Verfügbarkeit der technischen Lösung durch die eingetragene Marke nicht besteht (zu Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziffer ii GMV aF vgl. EuGH, GRUR 2010, 1008 Rn. 72 – Lego Juris [Lego-Stein]; BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2005 – I ZB 33/04 , BGHZ 166, 65 Rn. 13 f. – Porsche Boxster; Beschluss vom 24. Mai 2007 – I ZB 37/04 , GRUR 2008, 71 Rn. 16 = WRP 2008, 107 – Fronthaube).

Der Schutz einer dreidimensionalen Formmarke beziehe sich nicht auf eine abstrakte Grundform, sondern auf die konkrete Ausgestaltung der formgebenden Merkmale der beanspruchten Ware (zu Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziffer ii GMV aF vgl. EuGH, GRUR 2017, 66[EuGH 10.11.2016 – C-30/15] Rn. 47 – Simba Toys/Seven Towns; BGH, GRUR 2008, 71 Rn. 16 – Fronthaube; GRUR 2008, 510 [BGH 25.10.2007 – I ZB 22/04] Rn. 21 – Milchschnitte; Hacker in Ströbele/Hacker aaO § 9 Rn. 309; Büscher in Büscher/Dittmer/Schiwy aaO § 14MarkenG Rn. 358). Die wesentlichen Merkmale einer Formmarke seien daher nicht nach allgemeinen Gestaltungsprinzipien, sondern anhand der konkreten Formgebung des Zeichens zu ermitteln, die seinen Gesamteindruck bestimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 2003 – I ZB 48/98 , GRUR 2004, 507, 509 = WRP 2004, 749 – Transformatorengehäuse; BGHZ 182, 325 Rn. 30 – Legostein).

Soweit das Bundespatentgericht im vorliegenden Fall die Quaderform als wesentliches Merkmal angesehen habe, habe es lediglich die Grundform in den Blick genommen und nicht berücksichtigt, dass die mittig verlaufende V-förmige Vertiefung die großflächigen Seiten dieser Quader optisch in zwei Rechtecke unterteilt. Die Kanten der Einzeltäfelchen seien ausweislich der Abbildung im Register entgegen der Annahme des Bundespatentgerichts nicht abgerundet, sondern oben und unten abgeschrägt, so dass die schmalen Seitenflächen der Täfelchen hervorstehende Rechtecke bilden. Die Ecken seien zwar abgerundet, sie wiesen jedoch zur Ober- und Unterseite der Einzeltäfelchen hin und abgesetzt zu den abgeschrägten oberen und unteren Rändern des Täfelchens zusätzliche Abschrägungen auf. Die Vertiefung in der Mitte der Einzeltäfelchen stellten nicht lediglich einen Einschnitt dar, sondern das Zusammentreffen zweier Schrägen, die dem Spalt eine V-Form verleihen. Sowohl die als charakteristisches Merkmal der Warenformmarke anzusehende Randgestaltung der einzelnen Täfelchen als auch die Einkerbung seien damit auf eine Weise gestaltet, dass sie einen komplexen geometrischen Eindruck vermitteln. Das Bundespatentgericht habe – ausgehend von seiner nicht auf die konkrete Form bezogenen Merkmalsbeschreibung bei den Einzeltäfelchen – unberücksichtigt gelassen, dass durch die Stapelung von acht Täfelchen nicht nur deren aufwändig gestaltete Ränder und Kanten vervielfältigt werden, sondern eine neue komplexe geometrische Form entstünde. Die Oberflächenstruktur der Seiten des quaderförmigen Stapels sei dabei durch mehrere sichtbare Schrägen und abgerundete Ecken charakterisiert. Eine Stapelung von einfachen Quadern mit einheitlich runden Ecken und Kanten und einer mittigen Vertiefung könne diese optische Wirkung nicht erzeugen.

Nur solche Formgestaltungen seien technisch bedingt und vom Markenschutz ausgeschlossen, bei denen die von der Form erzeugte Wirkung technischer Natur ist. Soll die Form eine Wirkung erzielen, die auf nichttechnischem Gebiet liegt, greift das Schutzhindernis nicht ein. Dies sei der Fall, wenn die Form eines Lebensmittels der Erreichung einer geschmacklichen Wirkung dient (BGH, GRUR 2010, 138 [BGH 09.07.2009 – I ZB 88/07] Rn. 18 – ROCHER-Kugel). Vermittele die Form bestimmte – hier optische und haptische – Sinneseindrücke, stelletn diese ebenfalls keine Wirkungen technischer Natur dar (Hacker in Ströbele/Hacker aaO § 3 Rn. 117; BeckOK MarkenR/Kur aaO § 3 MarkenG Rn. 78).

Auf den vorliegenden Fall bezogen bedeute dies, dass nach den bislang getroffenen Feststellungen kann nicht ausgeschlossen werden könne, dass es sich bei den besonders gestalteten Ecken und Kanten der Einzeltäfelchen um ein wesentliches nichtfunktionelles dekoratives oder phantasievolles Element handeln könne. Das wäre nur anders, wenn ohne die Abschrägungen und Abrundungen für den Verbraucher beim Verzehr eine Verletzungsgefahr bestünde, während allein ein angenehmes Gefühl im Mund beim Verzehr sensorisch wirkt. Letzteres reicht für eine technische Funktion nicht aus.

Kommentar / Fazit:

Der BGH bestätigt, dass das Schutzhindernis des § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG dann nicht greift, wenn die Form der betreffenden Ware ein wesentliches nichtfunktionelles – wie ein dekoratives oder phantasievolles – Element aufweist, das für diese Form von Bedeutung ist.

Hierbei unterstrich der I. Senat des BGH, dass es auf die Eintragung im Register ankäme und nicht auf die Wahrnehmung der angesprochenen Verkehrskreise.

Ferner hält der I. Senat des BGH zwei Vorgehensweisen für zulässig, nämlich das Erfassen sämtlicher Merkmale und deren Beurteilung in der Einzelbetrachtung oder das Abheben auf den Gesamteindruck. Letzterer kann auch durch die Summe der technischen Merkmale, die eine gewisse Gestaltungsfreiheit haben (abgerundete Kante vs angefaste Kante; V-förmige Sollbruchstelle oder U-Förmige Sollbruchstelle) bestimmt sein.

Wie groß der Schutzbereich einer dreidimensionalen Marke ist, die aus der Summe ihrer Auswahl aus technischen Merkmalen gebildet ist, dürfte im Einzelfall fraglich sein, da dieser durch Änderungen leicht umgangen werden könnte. In der Praxis dürfte eine Formgebung zu empfehlen sein, die klar über die Ausgestaltung der technischen Merkmale hinausgeht.

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