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BGH: X ZB 1/16: Ventileinrichtung

Der X. Senat des Bundesgerichtshofs hat sich in seinem Beschluss X ZB 1/16 Ventileinrichtung vom 8. November 2016 mit den Möglichkeiten der Antragserweiterung des Beschwerdeführers und den Grenzen des Amtsermittlungsgrundsatzes auseinander gesetzt. Er hielt hierzu fest:

a) Das Patentgericht ist nicht befugt, im Einspruchsbeschwerdeverfahren von Amts wegen neue Widerrufsgründe, die nicht Gegenstand des Einspruchsverfahrens vor dem Patentamt waren, aufzugreifen und hierauf seine Entscheidung zu stützen (Bestätigung von BGH, Beschluss vom 10. Januar 1995 - X ZB 11/92 , BGHZ 128, 280 = GRUR 1995, 333 - AluminiumTrihydroxid).
b) Wenn eine das Patent aufrechterhaltende Entscheidung des Patentamts in zulässiger Weise mit der Beschwerde angefochten ist, darf der Einsprechende im Beschwerdeverfahren zusätzliche Widerrufsgründe geltend machen, die nicht zum Gegenstand der angefochtenen Entscheidung gehören.

Die Historie:

Die Rechtsbeschwerdeführerin ist Inhaberin des Patents 10 2006 006 439, das am 13. Februar 2006 angemeldet wurde und eine Ventileinrichtung zur manuellen Veränderung der Niveaulage eines luftgefederten Fahrzeugs betrifft.

Die Einsprechende hat im Verfahren vor dem Patentamt geltend gemacht, der Gegenstand des Schutzrechts sei nicht patentfähig.

Das Patentamt hat das Patent in vollem Umfang aufrechterhalten. Mit ihrer dagegen gerichteten Beschwerde hat die Einsprechende ergänzend geltend gemacht, der Gegenstand des Patents gegenüber den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus, und hierzu auf eine Entscheidung des Europäischen Patentamts über einen Einspruch gegen das europäische Patent 1 986 874 Bezug genommen, das die Priorität des Streitpatents in Anspruch nimmt. Die Patentinhaberin hat das Schutzrecht in der erteilten Fassung und hilfsweise in zwei geänderten Fassungen verteidigt.

Das Patentgericht hat das Patent mit der Begründung widerrufen, der Gegenstand des Schutzrechts gehe über den Inhalt der Anmeldung hinaus. Dagegen wendet sich die Patentinhaberin mit ihrer vom Patentgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, der die Einsprechende entgegentritt.

Aus den Gründen:

Nachfolgend werden die Aspekte der Entscheidung, die Antragsweite und den Amtsermittlungsgrundsatz betreffend, skizziert. Die weiteren Umstände und Entscheidungsgründe treten dabei in den Hintergrund.

Der X. Senat des BGH stellte zunächst fest, dass das Patentgericht zu dem Ergebnis gelangt sei, dass der von der Einsprechenden im Beschwerdeverfahren zusätzlich geltend gemachte Widerrufsgrund im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen war.

Entgegen der Auffassung des Patentgerichts hätte dieser Widerrufsgrund allerdings nicht von Amts wegen geprüft werden dürfen.

Nach der Rechtsprechung des Senats seien die Prüfungs- und Entscheidungsbefugnisse, die dem Patentamt nach einem Einspruch gegen ein erteiltes Patent und dem Patentgericht in einem sich daran anschließenden Beschwerdeverfahren zukommen, nicht deckungsgleich ( BGH, Beschluss vom 10. Januar 1995 – X ZB 11/92 , BGHZ 128, 280, 284 ff. = GRUR 1995, 333, 335 ff. – Aluminium-Trihydroxid).

Das mit einem Einspruch eingeleitete Verfahren vor dem Patentamt unterliege nicht der alleinigen Verfügungsbefugnis des Einsprechenden oder des Patentinhabers.

Das Patentamt müsse zwar alle Einspruchsgründe prüfen, die von den Beteiligten ordnungsgemäß vorgebracht und begründet worden sind ( BGHZ 128, 280, 292 = GRUR 1995, 333, 337 – Aluminium-Trihydroxid). Es dürfe das Patent zudem nur dann in einer geänderten Fassung aufrechterhalten, wenn der Patentinhaber ausdrücklich oder konkludent sein Einverständnis erklärt hat ( BGH, Beschluss vom 3. November 1988 – X ZB 12/86 , BGHZ 105, 381, 382 ff. = GRUR 1989, 103, 104 – Verschlussvorrichtung für Gießpfannen; Beschluss vom 27. Juni 2007 – X ZB 6/05 , BGHZ 173, 47 = GRUR 2007, 862 Rn. 20 ff. – Informationsübermittlungsverfahren II).

Das Patentamt sei aber befugt, von Amts wegen weitere Widerrufsgründe zu prüfen. Gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 PatG habe es das Verfahren sogar dann von Amts wegen fortzusetzen, wenn der Einspruch zurückgenommen werde. Diese umfassende Prüfungsbefugnis entspreche, wie auch das Patentgericht im Ansatz zutreffend ausgeführt habe, der Zielrichtung des Einspruchsverfahrens, das Patent in einem unmittelbar an seine Erteilung anschließenden, einfach gestalteten Verfahren zu überprüfen ( BGHZ 128, 280, 291 = GRUR 1995, 333, 336 – Aluminium-Trihydroxid).

Die Beschwerde zum Patentgericht sei demgegenüber ein echtes Rechtsmittel, mit dem die Entscheidung des Patentamts zur Überprüfung gestellt werde.

Die Verfügungsbefugnis über den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens liege ausschließlich beim Beschwerdeführer. Eine Entscheidung über die Beschwerde ist ausgeschlossen, wenn das Rechtsmittel wirksam zurückgenommen wurde.

Der Gegenstand des Beschwerdeverfahrens wird nach der Rechtsprechung des Senats auch durch die Widerrufsgründe bestimmt, die Gegenstand des Einspruchsverfahrens vor dem Patentamt waren. Deshalb ist es dem Patentgericht verwehrt, von Amts wegen andere Widerrufsgründe in das Verfahren einzuführen ( BGHZ 128, 280, 293 = GRUR 1995, 333, 337 – AluminiumTrihydroxid).

Die Befugnis des Beschwerdeführers, den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens zu bestimmen, hindere das Patentgericht zwar nicht daran, innerhalb des damit vorgegebenen Rahmens den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen ( § 87 Abs. 1 PatG ) und – wie jedes Gericht – die einschlägigen Rechtsvorschriften unabhängig von Vorbringen der Parteien heranzuziehen. Der Rückgriff auf zusätzliche Widerrufsgründe im Beschwerdeverfahren könne aber nicht als bloße Erforschung des Sachverhalts oder Rechtsanwendung angesehen werden.

Zum Gegenstand eines Beschwerdeverfahrens gehören folglich nur diejenigen Widerrufsgründe, die zur gerichtlichen Überprüfung gestellt werden. Dies sind grundsätzlich nur diejenigen Widerrufsgründe, die die Beteiligten im Einspruchsverfahren vor dem Patentamt geltend gemacht haben oder die das Patentamt von Amts wegen aufgegriffen hat, nicht aber sonstige Widerrufsgründe, die das Patentamt aufgrund seiner umfassenden Prüfungsbefugnis ebenfalls hätte aufgreifen können.

Der dafür maßgebliche Gesichtspunkt der Dispositionsbefugnis steht einer Berücksichtigung von zusätzlichen Widerrufsgründen, die der Einsprechende geltend macht, nicht entgegen. Gerade weil es Sache des Beschwerdeführers ist, den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens zu bestimmen, erscheint es im Ansatz sogar konsequent, einen zusätzlichen Widerrufsgrund, den der Einsprechende als Beschwerdeführer oder im Rahmen einer Anschlussbeschwerde geltend macht, zum Verfahrensgegenstand zu zählen.

Die gemäß § 99 Abs. 1 PatG entsprechend anzuwendenden Vorschriften der Zivilprozessordnung sähen für das Beschwerdeverfahren keine einschränkenden Regelungen vor. Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel würden in § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO sogar ausdrücklich zugelassen. Hinsichtlich der Frage, ob eine Änderung des Verfahrensgegenstands zulässig sei, fehle es zwar an einer vergleichbaren Vorschrift. Der Bundesgerichtshof erachte aber jedenfalls für Beschwerdeverfahren gegen Entscheidungen des Insolvenzgerichts eine Antragserweiterung in der Beschwerdeinstanz nach allgemeinen Regeln für zulässig, weil die Beschwerdeinstanz eine vollwertige Tatsacheninstanz ist ( BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2006 – IX ZB 81/06 , NZI 2007, 166 Rn. 20; ebenso MünchKomm.ZPO/Lipp, 5. Aufl., § 571 Rn. 15; Musielak/Ball, 13. Aufl., § 571 ZPO Rn. 5; Prütting/Gehrlein, 8. Aufl., § 571 ZPO Rn. 3; Zöller/Heßler, 31. Aufl., § 567 ZPO Rn. 8, § 571 ZPO Rn. 3).

Besonderheiten des Beschwerdeverfahrens in Patentsachen stünden einer entsprechenden Anwendung dieser Grundsätze nicht entgegen (ebenso Benkard/Schäfers/Schwarz, 11. Aufl., § 79 PatG Rn. 43; zweifelnd Busse/ Engels, 8. Aufl., § 73 PatG Rn. 120). Aufgrund der Dispositionsbefugnis der Parteien sei der Gegenstand eines Beschwerdeverfahrens zwar enger als der Gegenstand eines Einspruchsverfahrens vor dem Patentamt. Selbst im Nichtigkeitsverfahren sei eine Klageänderung in zweiter Instanz aber nach Maßgabe der auch für den Zivilprozess geltenden Voraussetzungen zulässig. Vor diesem Hintergrund erscheine es konsequent, eine Änderung des Verfahrensgegenstands auch im Beschwerdeverfahren anhand der für den Zivilprozess geltenden Vorschriften zu beurteilen. Einschlägig sei mithin § 263 ZPO .

Ferner stünde die für die Einlegung der Beschwerde in § 73 Abs. 2 Satz 1 PatG vorgesehene Frist einer Änderung des Verfahrensgegenstands nach Fristablauf nicht generell entgegen. Dabei könne es dahingestellt bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen es zulässig sei, eine zunächst nur gegen einen Teil der angefochtenen Entscheidung gerichtete Beschwerde nach Ablauf der Frist auf andere Teile der Entscheidung zu erweitern (ablehnend für Beschwerdeverfahren in Markensachen BPatG, GRUR 2008, 362, 364 [BPatG 06.02.2007 – 32 W (pat) 210/04] ). Nach den für den Zivilprozess geltenden Regeln sei es jedenfalls statthaft, ein zulässiges Rechtsmittel mit einer Erweiterung des in der Vorinstanz verfolgten Begehrens zu verbinden ( BGH, Urteil vom 11. Oktober 2000 – VIII ZR 321/99 , NJW 2001, 226; Urteil vom 14. März 2012 – XII ZR 164/09 , NJW-RR 2012, 516 Rn. 17).

Kommentar / Fazit:

Der BGH unterstreicht in der vorliegenden Entscheidung die mehrfach kritisierte Unterscheidung des Bundesgerichtshofes zwischen Einspruchsverfahren und Beschwerdeverfahren in Hinblick auf Kompetenz in Widerrufsgründen und Entscheidungskompetenz.

Der BGH hält daran fest, dass das Einspruchsverfahren eine Art Fortführung des Anmeldeverfahrens ist und räumt der Einspruchsabteilung entsprechend breitere Kompetenzen ein, eigene Widerrufsgründe einzuführen. Hierfür spricht der Amtsermittlungsgrundsatz, der im Einspruchsverfahren über die reine Sachverhaltsermittlung hinausgehen kann sowie die der Einspruchsinstanz eingeräumte Möglichkeit, das Verfahren auch denn weiter zu führen, wenn der Einspruch zurückgenommen wird.

Die Beschwerdeinstanz wird als vollwertiges Rechtsmittel gesehen und ist solchenfalls für den Beschwerdeführer freier in Hinblick auf den Beschwerdegegenstand gerichtet. Auch eine Klageerweiterung wird dem Beschwerdeführer zugestanden. Eine solche kann sinnvoll sein, wenn der Gegenstand der Patentanmeldung verändert wird, so dass ein neuer Beschwerdegrund, der beim Einlegen der Beschwerde noch nicht bekannt gewesen sein konnte, geltend gemacht werden kann. Beispielhaft sei hier die unzulässig Erweiterung genannt.

Eine wichtige praxisrelevante Feststtellung des BGH ist, dass die Einspruchsabteilung nicht von sich aus eine gewährbare Fassung des angegriffenen Patents zu erteilen hat. Äußert sich der Patentinhaber nicht, auch nicht konkludent, zu einer hilfweise erteilbaren Fassung, ist diese nicht zu gewähren.

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