BGH: X ZR 114/13 – Wärmetauscher
Der X. Senat des Bundesgerichtshofs hat sich in seinem Beschluss X ZR 114/13 Wärmetauscher vom 10. Mai 2016 mit der Frage auseinander gesetzt, inwieweit ein abhängiger Anspruch zur Auslegung eines Begriffs des Hauptanspruchs herangezogen werden könne.
Er entschied hierzu in einem Leitsatz:
a) Die Ermittlung des Sinngehalts eines Unteranspruchs kann grundsätzlich zur richtigen Auslegung des Hauptanspruchs eines Patents beitragen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass Unteransprüche regelmäßig den Gegenstand des Hauptanspruchs nicht einengen, sondern nicht anders als Ausführungsbeispiele lediglich gegebenenfalls mit einem zusätzlichen Vorteil verbundene - Möglichkeiten seiner Ausgestaltung aufzeigen.
b) Die Einräumung einer Aufbrauchfrist kommt im Patentverletzungsprozess nur dann in Betracht, wenn die sofortige Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs des Patentinhabers auch unter Berücksichtigung seiner Interessen aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls gegenüber dem Verletzer eine unverhältnismäßige, durch das Ausschließlichkeitsrecht und die regelmäßigen Folgen seiner Durchsetzung nicht gerechtfertigte Härte darstellte und daher treuwidrig wäre.
Die Historie:.
Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des am 24. Dezember 1996 angemeldeten deutschen Patents 196 54 370, dessen Patentansprüche 1 und 3 in einem Patentnichtigkeitsverfahren ( BGH, Urteil vom 16. November 2010 – X ZR 97/08 ) beschränkt wurden.
Die Beklagte zu 1 stellt in ihrem Werk in B. Heizsysteme für Cabriositze her. Die Beklagte zu 2 ist ihre Muttergesellschaft. Die Heizsysteme werden in die Rückenlehnen der Sitze eingefügt und bestehen im Wesentlichen aus einem schaufelradförmigen Gebläse, einem PTC-Heizelement (PTC = Positive Temperature Coefficient) sowie einer speziellen Luftführung. Dabei wird ein von dem Gebläse erzeugter Luftstrom durch das PTC-Element geführt und für den Austritt im Nackenbereich der Fahrzeuginsassen erwärmt. Die Systeme werden unter der Bezeichnung „X“ als Sonderausstattung in bestimmte von der Beklagten zu 3 hergestellte Fahrzeuge eingebaut und dafür als Ersatzteil geliefert.
ie Klägerin hat geltend gemacht, dieses System mache von allen Merkmalen von Patentanspruch 1 des Klagepatents wortsinngemäß, jedenfalls aber durch gleichwirkende Mittel Gebrauch; sie hat die Beklagten vor dem Berufungsgericht zuletzt auf Unterlassung, Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung und Urteilsveröffentlichung in Anspruch genommen und die Feststellung ihrer Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz begehrt.
Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben.
Aus den Gründen:
Nachfolgend wird sich nur mit dem Aspekt der Auslegung eines fraglichen Begriffs des Hauptanspruchs durch Zuhilfenahme eines abhängigen Anspruchs auseinandergesetzt. Die weiteren in der Entscheidung besprochnen Aspekte werden hier nicht weiter beleuchtet.
Der X. Senat des BGH stellte diesbezüglich fest, dass das Berufungsgericht bei seiner Erarbeitung des patentgemäßen Verständnisses vom fraglichen Begriff an den in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannten Erfahrungssatz angeknüpft habe, dass Begriffen in Patentschriften ein vom allgemeinen (technischen) Sprachgebrauch abweichender Sinngehalt beizulegen sein kann, der für das zutreffende Verständnis der betreffenden technischen Lehre dann maßgeblich ist ( BGH, Urteil vom 2. März 1999 – X ZR 85/96 , GRUR 1999, 909 – Spannschraube; Urteil vom 12. März 2002 – X ZR 168/00 , BGHZ 150, 149, 155 f. – Schneidmesser I).
Die Frage, ob dem Klagepatent ein „eigenes Wörterbuch“ zugrunde liegt, stelle sich allerdings im Streitfall insofern nicht, als das Berufungsgericht feststellt, dass der Sprachgebrauch am Anmeldetag in Bezug auf den fraglichen Begriff uneinheitlich war und der Vortrag beider Parteien dieses belegt.
Für sein Verständnis vom klagepatentgemäßen fraglichen Begriff habe das Berufungsgericht nach dem Zusammenhang der Gründe des Berufungsurteils maßgeblich auf das Verhältnis von Patentanspruch 1 zu Patentanspruch 3 und dem Umstand abgestellt, dass in einem weiteren Unteranspruch ein zusätzliches Mittel vorgesehen ist. Die vom Berufungsgericht daraus gezogene Schlussfolgerung, dass der fragliche Begriff nicht eindeutig eingeordnet werden kann, wenn das zusätzliche Mittel vorgesehen ist, sei jedoch entscheidungserheblich rechtsfehlerhaft.
Die in abhängigen Patentansprüchen unter Schutz gestellten Ausführungsformen und den diesbezüglichen Erläuterungen in der Klagepatentschrift komme für die Ermittlung des Sinngehalts von Hauptanspruch in Bezug auf den fraglichen Begriff nicht die Bedeutung zu, die das Berufungsgericht ihm beigelegt habe.
Die Ermittlung des Sinngehalts eines Unteranspruchs könne grundsätzlich zur richtigen Auslegung des Hauptanspruchs beitragen (vgl. Schulte/ Rinken/Kühnen, PatG, 9. Aufl., § 14 Rn. 26). Denn Unteransprüche gestalten die im Hauptanspruch unter Schutz gestellte Lösung weiter aus und können daher – mittelbar – Erkenntnisse über deren technische Lehre zulassen. Dabei sei jedoch zu beachten, dass sie regelmäßig den Gegenstand des Hauptanspruchs nicht einengen, sondern, nicht anders als Ausführungsbeispiele ( BGH, Urteil vom 7. September 2004 – X ZR 255/01 , BGHZ 160, 204, 210 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung), lediglich – gegebenenfalls mit einem zusätzlichen Vorteil verbundene – Möglichkeiten seiner Ausgestaltung aufzeigen.
Bei der für die Beurteilung einer Patentverletzung erforderlichen Auslegung des Patentanspruchs sei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Sinngehalt des Anspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag jedes einzelnen Merkmals zu dem gesamten Leistungsergebnis der Erfindung zu ermitteln ( BGH, Urteil vom 13. Februar 2007 – X ZR 74/05 , BGHZ 171, 1120 – Kettenradanordnung I; Urteil vom 17. Juli 2012 – X ZR 117/11 , BGHZ 194, 107 – Polymerschaum I).
Kommentar / Fazit:
Die vorliegende Entscheidung bezieht sich auf einen fraglichen Begriff eines Hauptanspruchs, der zum Zeitpunkt des Anmeldetags nicht eindeutig definiert war. In einem solchen Fall, führt ein Heranziehen von nachträglich zum Fachbegriff gewordenen Definitionen nicht zum Erfolg; es ist auf das Verständnis der Fachwelt zum Anmelde- oder Prioritätstag abzustellen.
Auch in abhängigen Ansprüchen des Streitpatents getroffene Definitionen sind nur im Einzelfall heranziehbar.
Für die Praxis bedeutet dies, dass, wenn Fachbegriffe verwendet werden, diese der zum Zeitpunkt vorliegenden Definition unterliegen. Sollen diese Fachbegriffe aber breiter oder anders verstanden werden, so ist dieses in der Patentschrift zu definieren. Bei „Wortneuschöpfungen“ kann sich eine funktionale Definition der Wirkungsweise anbieten, wenn die „Wortneuschöpfung“ in der Fachwelt noch nicht einheitlich verwendet wird.