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BGH: X ZR 41/14 – Fahrzeugscheibe II

Der X. Senat des Bundesgerichtshofs hat sich in seinem Beschluss  X ZR 41/14 Fahrzeugscheibe II vom 21.Juni 2016 mit der Frage der hilfsweisen Verteidigung eines Streitpatents in der Berufungsinstanz auseinander.

Er entschied hierzu in einem Leitsatz:

Die hilfsweise Verteidigung des Streitpatents mit geänderten Ansprüchen in der Berufungsinstanz kann als sachdienlich anzusehen sein, wenn das Patentgericht den Beklagten erst in der mündlichen Verhandlung davon in Kenntnis gesetzt hat, dass es an einer im Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG geäußerten, dem Beklagten günstigen Einschätzung nicht festhält.

Die Historie:.

Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 240 041 (Streitpatents), das am 21. Dezember 2000 unter Inanspruchnahme der Priorität einer deutschen Voranmeldung vom 21. Dezember 1999 angemeldet worden ist und eine Anordnung zum Verbinden einer Fahrzeugscheibe mit einem angrenzenden Bauteil betrifft.

Die Klägerin hat das Streitpatent mit Ausnahme von Anspruch 11 mit der Begründung angegriffen, sein Gegenstand sei nicht patentfähig.

Mit Urteil vom 15. Februar 2012 hat das Patentgericht das Streitpatent im beantragten Umfang mit der Begründung für nichtig erklärt, dass sein Gegenstand durch die deutsche Voranmeldung vorweggenommen sei, deren Priorität das Streitpatent mangels wirksamer Übertragung auf die Patentinhaberin nicht in Anspruch nehmen könne. Auf die Berufung der Beklagten hat der Senat dieses Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückverwiesen ( BGH, Urteil vom 16. April 2013 – X ZR 49/12 , GRUR 2013, 712 – Fahrzeugscheibe). Im wiedereröffneten Verfahren erster Instanz hat die Beklagte das Streitpatent zuletzt in einer geänderten Fassung verteidigt.

Das Patentgericht hat das Streitpatent wiederum im beantragten Umfang für nichtig erklärt. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie das Streitpatent in der Fassung ihres zuletzt gestellten Hauptantrags mit der Maßgabe verteidigt, dass das Wort „Fahrzeugscheibe“ durch das Wort „Windschutzscheibe“ ersetzt wird. Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent in sechs abermals geänderten Fassungen. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Aus den Gründen:

Nachfolgend wird das Hauptaugenmerk auf die rechtliche Beurteilung des Einreichens von Hilfsanträgen in der Berufungsinstanz gelegt, was regelmäßig als nicht statthaft gilt.

Der X. Senat des BGH entschied, dass unter den hier gegebenen Umständen der Beklagten ein nachlässiges Verhalten nicht zur Last gelegt werden kann.

Das Patentgericht habe in seinem Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG die vorläufige Einschätzung geäußert, der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei zwar nicht in der erteilten Fassung, jedoch in der Fassung des damaligen Hilfsantrags, der dem jetzigen Hauptantrag entspricht, patentfähig. Die Beklagte habe diesen Hinweis zum Anlass genommen, den damaligen Hilfsantrag als neuen Hauptantrag zu stellen. Der Hinweis habe ihr jedoch keine Veranlassung zu weiteren Hilfsanträgen gegeben.

Nach dem Hinweis des Patentgerichts habe die Klägerin ihr Vorbringen zur fehlenden Patentfähigkeit des Gegenstands des jetzigen Hauptantrags ergänzt und hierzu eine Reihe weiterer Entgegenhaltungen vorgelegt und erörtert. Die Beklagte musste dies nicht zum Anlass nehmen, vorsorglich weitere Hilfsanträge zu stellen, solange das Patentgericht keine Änderung seiner vorläufigen Einschätzung bekundete. Sie war deshalb nicht gehalten, schon innerhalb der ihr vom Patentgericht nach § 83 Abs. 2 PatG gesetzten Frist auf das weitere Vorbringen der Klägerin mit neuen Hilfsanträgen zu reagieren. Eine andere Beurteilung sei schon deshalb nicht angezeigt, weil die Beklagte sonst möglicherweise schlechter stünde, als wenn das entsprechende Vorbringen der Klägerin bereits vor dem qualifizierten Hinweis des Patentgerichts erfolgt wäre.

Erst in der mündlichen Verhandlung wurde die Beklagte vom Patentgericht darüber in Kenntnis gesetzt, dass es unter dem Eindruck des ergänzten Vorbringens der Klägerin an seiner im Hinweisbeschluss geäußerten vorläufigen Einschätzung nicht mehr festhalte. Erst diese Mitteilung musste der Beklagten Anlass geben zu prüfen, ob und gegebenenfalls in welcher Form eine Verteidigung des Streitpatents in einer weiter beschränkten Fassung in Betracht komme.

Sie habe daraufhin erklärt, das Streitpatent hilfsweise in mehreren beschränkten Fassungen verteidigen zu wollen, damals jedoch noch nicht die Fassungen zur Entscheidung gestellt, in denen sie das Streitpatent nunmehr mit den Hilfsanträgen I bis III verteidigt. Dies steht der Sachdienlichkeit dieser Anträge jedoch nicht entgegen.

Bei der Prüfung der Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Form eine beschränkte Verteidigung des Streitpatents in einer geänderten Fassung in Betracht komme, sind im Hinblick auf die Anforderungen an die Zulässigkeit einer solchen Verteidigung und ihre Erfolgsaussichten komplexe Überlegungen anzustellen.

Dies wird regelmäßig dagegen sprechen, dem Patentinhaber eine Vernachlässigung der Pflicht zur Prozessförderung zur Last zu legen, wenn es ihm nicht gelingt, diese Überlegungen während der mündlichen Verhandlung vor dem Patentgericht abzuschließen. Dies gilt insbesondere dann, wenn – wie hier – dem Protokoll der mündlichen Verhandlung nicht zu entnehmen ist, ob das Patentgericht deutlich gemacht hat, auf welchen konkreten Überlegungen die Änderung der vorläufigen Einschätzung beruht, so dass es für den Patentinhaber nicht ohne Weiteres erkennbar ist, welche Beschränkungen zweckmäßig sein können, um den Bedenken des Gerichts Rechnung zu tragen.

Kommentar / Fazit:

Kläger und Beklagte unterliegen der Prozessförderungspflicht. Diese setzt voraus, dass Kläger und Beklagte auf die Vorträge der jeweiligen Gegenseite zeitnah erwidern und ggf. Hilfsanträge stellen sollen. Dieses gilt auch für die Hinweise des Bundespatentgerichts, insbesondere für die geäußerten vorläufigen Beurteilungen des Bundespatentgerichts. Sind diese bekannt ist hierauf vor der mündichen Verhandlung in Form von Hilfsanträgen zu reagieren.

Erst in der mündlichen Verhandlung eingereichte Hilfsanträge können zurückgewiesen werden, wenn sich an der Vortragslage nichts geändert hat.

Mit oben skizziertem Urteil stellt der BGH jedoch klar, dass dieses nicht für den Fall gilt, dass der Senat des Bundespatentgerichts seine zuvor geäußerte Beurteilung des Sachverhaltes in der mündlichen Verhandlung ändert. Solchenfalls ist das Einreichen weiterer Hilfsanträge hiernach statthaft.

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