BGH: I ZR 140/40 – Angebotsmanipulation bei Amazon
Der I. Senat des Bundesgerichtshofs hat sich in seinem Beschluss I ZR 140/40 Angebotsmanipulation bei Amazon vom 03.03.2016 mit der Frage auseinander gesetzt, wie weit Überwachungs- und Prüfungspflichten für Plattformbetreiber bei Änderungen von Produktbeschreiben bestehen.
Er entschied hierzu in einem Leitsatz:
Händler, die auf der Internet-Verkaufsplattform Amazon-Marketplace Produkte zum Verkauf anbieten, trifft eine Überwachungs- und Prüfungspflicht auf mögliche Veränderungen der Produktbeschreibungen ihrer Angebote, die selbständig von Dritten vorgenommen werden, wenn der Plattformbetreiber derartige Angebotsänderungen zulässt.
Die Historie:
Der Kläger ist Inhaber der beim Deutschen Patent- und Markenamt am 7. November 2011 eingetragenen Wortmarke Nr. 302011045395 „TRIFOO“, die für „Datenverarbeitungsgeräte und Computer, Schnittstellengeräte und -programme für Computer“ Schutz beansprucht. Der Beklagte betreibt unter der Bezeichnung „e. “ einen Händlershop, über den er unter der Internetadresse www.amazon.de auf der Handelsplattform Amazon-Marketplace eine „Finger Maus“ für „PC Notebook“ anbot.
Dieses Angebot konnte am 20. November 2011 auf www.amazon.de mit den Angaben „Trifoo USB 2.0 Finger Maus 3D Optical Mouse für PC Notebook 800 DPI“ und „Verkauf und Versand durch e. “ aufgerufen werden. Die auf diese Weise angebotene Ware stammte nicht vom Kläger und war auch nicht mit seiner Zustimmung im Europäischen Wirtschaftsraum in den Verkehr gelangt.
Der Kläger mahnte den Beklagten am 21. November 2011 wegen Verletzung seiner Marke ab. Der Beklagte wies die Abmahnung zurück, veranlasste Amazon aber, die Klagemarke von der Angebotsseite zu entfernen.
Der Beklagte behauptet, die von ihm im Oktober 2010 für das beanstandete Angebot bei Amazon-Marketplace ausgefüllte Produktinformation habe das Zeichen „TRIFOO“ nicht enthalten, sondern die Herstellerbezeichnung „Oramics“. Diese Katalogseite sei nachträglich von einem anderen Anbieter – mutmaßlich dem Kläger selbst oder dem Lizenznehmer „T. -S. “ des Klägers – durch Angabe der Marke „TRIFOO“ ergänzt worden.
Aus den Gründen:
Der I. Senat des Bundesgrichtshofs stellte fest, dass das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen sei, dass der Unterlassungsantrag des Klägers auch eine mögliche Störerhaftung des Beklagten erfasst. Der Beklagte habe ein mit der Klagemarke identisches Zeichen jedenfalls insofern „benutzt“, als die von ihm angebotene „Finger Maus“ mit dem Zeichen „TRIFOO“ bezeichnet war. Darin liege unabhängig davon eine „Benutzung“ der Klagemarke, ob eine Haftung als Täter oder als Störer bejaht würde.
Dass die Haftung als Störer die Verletzung von Prüfpflichten voraussetze, müsse nicht im Klageantrag zum Ausdruck kommen. Es reiche aus, dass dies aus der Klagebegründung und, soweit das Gericht das Verbot auf die Störerhaftung stützt, aus den Entscheidungsgründen folge, die zur Auslegung des Verbotstenors heranzuziehen seien (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2013 – I ZR 216/11 , GRUR 2013, 1229 Rn. 25 = WRP 2013, 1613 – Kinderhochstühle im Internet II).
Als Störer könne bei der Verletzung absoluter Rechte auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat-kausal zur Verletzung des geschützten Rechtsguts beitrage. Da die Störerhaftung nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden dürfe, die die rechtswidrige Beeinträchtigung nicht selbst vorgenommen haben, setze die Haftung des Störers nach der Rechtsprechung des Senats die Verletzung von Prüfpflichten voraus.
Deren Umfang bestimme sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten sei. Dabei seien Funktion und Aufgabenstellung des in Anspruch Genommenen ebenso zu berücksichtigen wie die Eigenverantwortung desjenigen, der die rechtswidrige Beeinträchtigung selbst unmittelbar vorgenommen habe.
Außer aus Gesetz oder vertraglichen Regelungen könne sich eine Rechtspflicht zur Prüfung und zur Abwendung einer Rechtsverletzung auch unter dem Gesichtspunkt eines gefahrerhöhenden Verhaltens ergeben. Die Tätigkeit als Händler auf Amazon Marketplace bringe die Gefahr von Rechtsverletzungen mit sich, weil Dritte die Produktbeschreibung ändern können.
Unter diesen Umständen sei dem Beklagten zuzumuten, ein von ihm dauerhaft oder über einen längeren Zeitraum bei Amazon Marketplace eingestelltes Angebot regelmäßig darauf zu überprüfen, ob rechtsverletzende Änderungen vorgenommen worden seien. Komme er dieser Prüfungspflicht nicht nach, haftet er für durch solche Veränderungen seines Angebots bewirkte Rechtsverletzungen als Störer auf Unterlassung.
Prüfungspflichten auf der Grundlage der Störerhaftung können nach der Rechtsprechung des Senats zwar nur in den Grenzen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes begründet werden. Das spreche im Streitfall aber nicht dagegen, den auf Amazon-Marketplace tätigen Händlern eine Überwachungspflicht hinsichtlich der von ihnen eingestellten Angebote aufzuerlegen. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei im Rahmen der Frage der Zumutbarkeit bei der Bestimmung von Häufigkeit und Umfang der erforderlichen Prüfungen Rechnung zu tragen. Das berechtigte Interesse der Rechtsinhaber, Verletzungen ihrer Rechte zu verhindern oder wirksam zu verfolgen, lasse es aber nicht zu, jede Prüfungspflicht der auf Amazon-Marketplace gewerblich tätigen Händler zu verneinen.
Grundsätzlich könne jede nachträgliche Änderung eines Herstellerzeichens den Verdacht einer unzulässigen Angebotsmanipulation begründen. Selbst wenn man aber den Beklagten erst nach Eintragung der Marke für verpflichtet halte, eine Kennzeichnung seines Angebots mit der fremden Marke zu verhindern, hatte er über nahezu zwei Wochen keine entsprechende Überprüfung vorgenommen und damit jedenfalls seine Prüfpflicht verletzt.
Eine Verletzung der Prüfpflicht sei adäquat kausal für die Markenverletzung.
Kommentar / Fazit:
Plattformbetreiber unterliegen einer Überwachungs- und Prüfungspflicht. Diese gilt insbesondere bei neu eingestellten und geänderten Angeboten.
Hier ist es wichtig zu wissen, dass ein Plattformbetreiber sich seiner Haftung als Störer auch durch vertragliche Absprachen mit dem Anbieter der Produkte nicht entziehen kann. Diese betrifft nämlich nicht eine Außenwirkung gegenüber Dritten, sondern regelt das Innenverhältnis zwischen Plattformbetreiber und Händler.
Aus dem vorliegenden Urteil des BGH folgt, dass jede Änderung der Produktbeschreibung durch den Anbieter eine potenttielle Rechtsverletzung darstellen kann, die seitens des Plattformbetreibers unverzüglich, aber zumindest in weniger als zwei Wochen, zu überprüfen sei. Die Überprüfung umfasst dabei zumindest die Suche nach potentiellen identischen Markenverletzung.
Plattformbetreibern ist es daher angeraten, Mechanismen vorzusehen, die ihnen jede Änderung anzeigt. Vorzugsweise sollten Änderungen erst online geschaltet werden dürfen, wenn der Plattformbetreiber diese prüfen und freigeben konnte.
Ob die Prüfungs- und Überwachungspflicht auch Fälle von Markenähnlichkeit betrifft, wird durch das vorliegende Urteil nicht abschließend behandelt. Es dürfte jedoch auch für Fälle hoher und mittlerer Zeichenähnlichkeit bei Warenidentität gelten.