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BGH: X ZR 29/15 – Pemetrexed

Der X. Senat des Bundesgerichtshofs hat sich in seinem Beschluss  X ZR 29/15 – Pemetrexed vom 14.06.2016 der Frage der äquivalenten Patentverletzung gewidmet und hierbei die hierzu weiterentwickelte Rechtsprechung Okklusionsvorrichtung und Diglycidverbindung bestätigt.

Er entschied hierzu in Leitsätzen:

a) Eine Patentverletzung mit äquivalenten Mitteln ist in der Regel zu verneinen, wenn die Beschreibung mehrere Möglichkeiten offenbart, wie eine bestimmte technische Wirkung erzielt werden kann, jedoch nur eine dieser Möglichkeiten in den Patentanspruch aufgenommen worden ist (Bestätigung von BGH, Urteil vom 10. Mai 2011 - X ZR 16/09, BGHZ 189, 330 = GRUR 2011, 701 Rn. 35 - Okklusionsvorrichtung; Urteil vom 13. September 2011 - X ZR 69/10, GRUR 2012, 45 Rn. 44 - Diglycidverbindung).

b) Für die Anwendbarkeit dieses Grundsatzes reicht es nicht aus, dass sich eine vom Patent beanspruchte Ausführungsform aufgrund von Angaben in der Beschreibung oder aus sonstigen Gründen als spezieller Anwendungsfall eines allgemeineren Lösungsprinzips darstellt und der Fachmann aufgrund dieser Erkenntnis in der Lage war, weitere diesem Lösungsprinzip entsprechende Ausführungsformen aufzufinden.

Die Historie:

Die Klägerin ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 313 508 (Klagepatents), das am 15. Juni 2001 angemeldet wurde und die Verwendung von Pemetrexeddinatrium in Kombination mit Vitamin B12 zur Hemmung des Wachstums von Tumoren betrifft.

Die Klägerin ist ferner Mitinhaberin des europäischen Patents 432 677 und des auf dessen Grundlage in Deutschland für den Zeitraum bis 10. Dezember 2015 erteilten ergänzenden Schutzzertifikats 12 2005 000 012, das Pemetrexed und pharmazeutisch verträgliche Salze davon betrifft. Die Beklagte zu 1 (nachfolgend: Beklagte) ließ der Klägerin mit Anwaltsschreiben vom 12. Juli 2012 mitteilen, sie wolle nach Ablauf des Schutzzertifikats ein Arzneimittel mit dem Wirkstoff Pemetrexeddikalium auf den Markt bringen, und zwar als Generikum mit dem von der Klägerin vertriebenen, den Wirkstoff Pemetrexeddinatrium enthaltenden Produkt Alimta als Referenzarzneimittel.

Die Klägerin hat die Beklagte, deren deutsche Vertriebsgesellschaft und deren Geschäftsführer auf Unterlassung in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Beklagte entsprechend dem auf eine Verletzung des Klagepatents mit äquivalenten Mitteln gestützten Hilfsantrag verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der vom Senat zugelassenen Revision, der die Beklagte entgegentritt.

Aus den Gründen:

Im Folgenden werden die Entscheidungsgründe kurz skizziert. Hierbei liegt in diesem Artikel der Fokus auf den Ausführungen zur und der rechtlichen Beurteilung der Äquivalenz durch den BGH.

Bestimmung des technischen Problems (der Aufgabe):

Der X. Senat führt aus, dass die Bestimmung des technischen Problems (der Aufgabe) in einem Nichtigkeits- oder Einspruchsverfahren dazu dient, den Ausgangspunkt der fachmännischen Bemühungen um eine Bereicherung des Stands der Technik ohne Kenntnis der Erfindung zu lokalisieren, um bei der anschließenden und davon zu trennenden Prüfung auf Patentfähigkeit zu bewerten, ob die dafür vorgeschlagene Lösung durch den Stand der Technik nahegelegt war oder nicht (BGH, Urteil vom 11. November 2014 – X ZR 128/09, GRUR 2015, 356 Rn. 9 – Repaglinid).

Sie habe hingegen nicht die Funktion, über die Frage der Patentfähigkeit bereits eine Vorentscheidung zu treffen (BGH, Urteil vom 13. Januar 2015 – X ZR 41/13, GRUR 2015, 352 Rn. 16 – Quetiapin)

Für einen Verletzungsrechtsstreit gelte im Ausgangspunkt nichts anderes.

Zur Beurteilung der Frage, ob die jeweils angegriffene Ausführungsform von der patentierten Lehre Gebrauch macht, sei durch Auslegung des Patentanspruchs zu ermitteln, welchen Niederschlag die fachmännischen Bemühungen um eine Bereicherung des Stands der Technik konkret darin gefunden haben (vgl. nur BGH, Urteil vom 24. Juli 2012 – X ZR 126/09, GRUR 2012, 1130 Rn. 9 – Leflunomid). Zur Herausarbeitung dessen, was die Erfindung in diesem Sinne tatsächlich leistet, trage die Bestimmung des technischen Problems bei (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 2010 – Xa ZR 36/08, GRUR 2010, 602 – Gelenkanordnung).

Rechtsfehlerhaft wäre es, das technische Problem im Rahmen dieser ersten Betrachtung bereits so festzulegen, dass damit eine Vorentscheidung über die Auslegung getroffen ist. In der Patentschrift enthaltene Angaben zur Aufgabe der Erfindung dürfen – ebenso wie der übrige Inhalt der Patentschrift – nicht zu einer sachlichen Einengung des durch den Wortsinn des Patentanspruchs festgelegten Gegenstands führen (BGH, Urteil vom 4. Februar 2010 – Xa ZR 36/08, GRUR 2010, 602 Rn. 27 – Gelenkanordnung). Sie müssten zudem auch dann unberücksichtigt bleiben, wenn im Patentanspruch keine Mittel angegeben sind, mit denen das betreffende Ziel erreicht werden könnte. Diese Grundsätze gelten auch für eine Aufgabenbeschreibung, die in der Patentschrift nicht ausdrücklich enthalten sei. Jede Aufgabenbeschreibung sei deshalb in einem nachfolgenden Schritt darauf zu überprüfen, ob sie mit den durch Auslegung ermittelten Festlegungen des Patentanspruchs in Einklang stehe. 

Funktionsorientierte Auslegung

Der X. Senat des BGH bestätigte, dass eine funktionsorientierte Auslegung der Ansprüche zwar grundsätzlich geboten sei, diese dürfe aber nicht dazu führen, dass ein räumlich-körperlich definiertes Merkmal auf seine bloße Funktion reduziert werde, weil anderenfalls die Grenze zwischen wortsinngemäßer und äquivalenter Benutzung aufgelöst würde.

Für Verwendungsansprüche gelten die gleichen Grundsätze wie für Vorrichtungsansprüche. Auch im Rahmen eines solchen Verwendungsanspruchs könnten im Rahmen der Anspruchsauslegung einem rein funktionalen Verständnis der betreffenden stofflichen Verbindung Grenzen gesetzt sein.

Stützen bei der Auslegung des Klagepatents auf Unterlagen aus dem Erteilungsverfahren

Nach der Rechtsprechung des Senats sei es zulässig, Äußerungen des Anmelders im Erteilungsverfahren als Indiz dafür heranzuziehen, wie der Fachmann den Gegenstand des Patents versteht (BGH, Urteil vom 5. Juni 1997 – X ZR 73/95, NJW 1997, 3377, 3380 – Weichvorrichtung II). Für Äußerungen des Prüfers gelte nichts anderes. Solche Indizien können allerdings nicht ohne weiteres als alleinige Grundlage für die Auslegung herangezogen werden.

Verletzung eines Patents mit äquivalenten Mitteln

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sie die Verletzung eines Patents mit äquivalenten Mitteln nur dann zu bejahen, wenn die Überlegungen, die der Fachmann anstellen muss, um ein abgewandeltes Mittel als objektiv gleichwirkend aufzufinden, am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten technischen Lehre orientiert seien.

Die Orientierung am Patentanspruch setze voraus, dass der Patentanspruch in allen seinen Merkmalen nicht nur den Ausgangspunkt, sondern die maßgebliche Grundlage für die Überlegungen des Fachmanns bildet. Beschränke sich das Patent bei objektiver Betrachtung auf eine engere Anspruchsfassung, als dies vom technischen Gehalt der Erfindung und gegenüber dem Stand der Technik geboten wäre, dürfe die Fachwelt darauf vertrauen, dass der Schutz entsprechend beschränkt ist. Dem Patentinhaber sei es dann verwehrt, nachträglich Schutz für etwas zu beanspruchen, was er nicht unter Schutz hat stellen lassen. Dies gelte selbst dann, wenn der Fachmann erkennt, dass die erfindungsgemäße Wirkung als solche (in dem vorstehend ausgeführten engeren Sinn) über den im Patentanspruch unter Schutz gestellten Bereich hinaus erreicht werden könnte. Deshalb sei eine Ausführungsform aus dem Schutzbereich des Patents ausgeschlossen, die zwar offenbart oder für den Fachmann jedenfalls auffindbar sein mag, von der der Leser der Patentschrift aber annehmen muss, dass sie – aus welchen Gründen auch immer – nicht unter Schutz gestellt werden sollte.

Für Fallgestaltungen, in denen dem Patentanspruch eine Auswahlentscheidung zwischen verschiedenen Möglichkeiten zugrunde liege, sei das Erfordernis der Orientierung am Patentanspruch dahin zu konkretisieren, dass die fachmännischen Überlegungen zu möglichen Abwandlungen gerade auch mit dieser Auswahlentscheidung in Einklang stehen müssen. Deshalb sei eine Patentverletzung mit äquivalenten Mitteln in der Regel zu verneinen, wenn die Beschreibung mehrere Möglichkeiten offenbart, wie eine bestimmte technische Wirkung erzielt werden kann, jedoch nur eine dieser Möglichkeiten in den Patentanspruch aufgenommen worden ist.

Für den Fall, dass der Anmelder im Zuge des Erteilungsverfahrens ein Patentbegehren einschränkt, stellte der X. Senat des BGH klar, dass wenn der Patentinhaber in einem bestimmten Stadium des Verfahrens Schutz für eine Gruppe von Verbindungen beansprucht, die Patentansprüche später aber so gefasst hat, dass ihr Wortsinn nur noch eine einzelne Verbindung erfasst, mag dies im Einzelfall darauf hindeuten, dass er die übrigen Verbindungen aus dem Schutzbegehren ausgenommen hat. Dann sei Raum für die Anwendung des bereits erwähnten Grundsatzes, dass der Patentinhaber über die Rechtsfigur der Äquivalenz nicht nachträglich Schutz für etwas beanspruchen darf, was er nicht unter Schutz hat stellen lassen.

Die Annahme, dass mit der Konkretisierung der Anspruchsfassung alle übrigen zur offenbarten Gruppe gehörenden Verbindungen vom Schutz ausgenommen werden, kommt aber nur unter bestimmten Voraussetzungen in Betracht. Sie mag im Einzelfall gerechtfertigt sein, wenn ein Vergleich der unterschiedlichen Anspruchsfassungen unter Berücksichtigung des übrigen Inhalts der zugehörigen Anmeldung bzw. Patentschrift hinreichend deutlich ergibt, dass die Konkretisierung vorgenommen wurde, um den Gegenstand des Patents vom Stand der Technik abzugrenzen und so Zweifel hinsichtlich der Patentfähigkeit zu vermeiden. Wenn dies der Fall ist, ist die Bejahung einer Auswahlentscheidung in der Regel auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Konkretisierung bei objektiver Betrachtung nicht notwendig gewesen wäre, denn die Gründe, aus denen von einer Einbeziehung bestimmter Ausführungsformen abgesehen wird, sind nach der oben aufgezeigten Rechtsprechung grundsätzlich ohne Bedeutung.

Wenn die Konkretisierung im Hinblick auf formelle Anforderungen vorgenommen wurde – wiederum unabhängig davon, ob diese Anforderungen objektiv bestanden haben – oder wenn nicht hinreichend deutlich wird, aus welchem Grund sie erfolgt ist, könne hingegen in der Regel nicht von einer Auswahlentscheidung im oben genannten Sinne ausgegangen werden. Sofern der Patentanspruch etwa aus Gründen der Anspruchsklarheit oder zur Vermeidung einer unzulässigen Erweiterung eine verhältnismäßig enge Fassung erhält, können daraus für die Frage einer Verletzung mit äquivalenten Mitteln schon deshalb keine zwingenden Schlussfolgerungen gezogen werden, weil diese beiden Gesichtspunkte für die Äquivalenz nicht von unmittelbarer Bedeutung sind.

Die Frage der Anspruchsklarheit könne sich in der Regel nicht stellen, weil es nur darum geht, ob der Einsatz eines bestimmten Austauschmittels als gleichwertig (äquivalent) anzusehen ist, und hierfür grundsätzlich nicht von Bedeutung ist, ob noch weitere gleichwertige Austauschmittel in Betracht kommen. Der Frage, ob eine Ausführungsform in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart sei, kommt in der Regel ebenfalls keine Bedeutung zu, weil ein Austauschmittel auch dann gleichwertig (äquivalent) sein kann, wenn es weder in der Anmeldung noch im Patent offenbart, aber dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt war.

Kommentar / Fazit:

Die Entscheidung präzisiert die vorangegangen Entscheidungen  Okklusionsvorrichtung und Diglycidverbindung.

In der Praxis werden Patentansprüche, insbesondere einzelne technische Merkmale, gattungsartig breit gefasst. Unter diese Merkmale fallen oft mehrere Möglichkeiten der Umsetzung (Bsp. Haltemittel: Nagel, Schraube, Niet, Haken, Schweißverbindung, etc.).

Präferierte Möglichkeiten werden in den Beschreibungen oft als als gleichwertige Lösungen genannt, um Umgehungslösungen zu verhindern und um Offenbarung gegen das Anmelden von Schutzrechten Dritter zu ähnlichen Gegenständen zu schaffen.

Nicht selten müssen aber Anmelder eine Ausnahmeentscheidung aufgrund einer (unglücklicher) Erteilungsgeschichte treffen, beispielsweise um Patentfähigkeit herzustellen. Solchenfalls wird der Patentanspruch nachträglich beschränkt: Hierbei handelt es sich um eine (spezifische und dokumentierte) Auswahlentscheidung. Die Beschreibung enthält in der Regel Argumente für ein weit(er)es Anspruchsverständnis, woran auch die Entscheidung Okklusionsvorrichtung nichts Grundsätzliches ändern wollte.

Wann äquivalente Patentverletzung gilt sei am Beispiel der Entscheidung vom 13.9.2011 – X ZR 69/10 GRUR 2012, 45 – Diglycidverbindung beschrieben:

Ausgangssituation:

Beschreibung: Verfahren A und Verfahren B

Patentanspruch : Verfahren A

angegriffene Ausführungsform: Verfahren C

Äquivalente Patentverletzung gilt nunmehr dann, wenn …

1) … sich die abgewandelte Lösung C in ihren spezifischen Wirkungen mit der unter Schutz gestellten Lösung (A) deckt.

2) … seine Fachkenntnisse am Prioritätstag den Fachmann befähigten, die abgewandelten Mittel (C) – ohne erfinderische Tätigkeit – als gleichwirkend aufzufinden.

3) … die Überlegungen, die der Fachmann dazu (Fragen 1 und 2) anstellen musste, derart am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Lehre (A) orientiert sind, dass der Fachmann die abweichende Ausführung (C ) mit ihren abgewandelten Mitteln als gleichwertige Lösung in Betracht zog,

weil sie sich in ähnlicher Weise wie diese Lösung (A) von der nur in der Beschreibung, nicht aber im Patentanspruch aufgezeigten Lösungsvariante (B) unterscheidet.

Folge:  äquivalente Patentverletzung nur dann, wenn das benutzte Verfahren C „näher“ am offenbarten und beanspruchten Verfahren A ist, als an dem offenbarten, aber nicht beanspruchten Verfahren B

 

Diglycidverbindung

Die Vorliegende Entscheidung präzisiert nun, dass C äquivalent verletzt, wenn es unter ein allgemeines Lösungsprinzip fällt, das A, B und C löst.

Für die Praxis heisst das nun, das frühzeitig abzuschätzen ist, ob ein ggf. breit gewählter Merkmalsbegriff im Anmelde- oder einem möglichen Einspruchsverfahren präzisiert werden muß. Solchenfalls wäre die Beschreibung des Merkmalsbegriff kurz zu fassen und nur eine Präzisierung zu nennen. So wäre Anspruch und Beschreibung deckungsgleich.

 

 

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